Lateinamerika

Was steckt hinter Nicaraguas Zustimmung zur russischen Militärpräsenz im Land?

Wie die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, erklärte, stellt die russische Militärpräsenz in Nicaragua keine Sensation dar. Die guten Beziehungen zwischen Nicaragua und Russland sorgten in Washington jüngst für Beunruhigung. Dort wird befürchtet, dass die Zusammenarbeit der beiden Länder den USA schade.
Was steckt hinter Nicaraguas Zustimmung zur russischen Militärpräsenz im Land?Quelle: www.globallookpress.com © Inti Ocon/dpa

Eine Analyse von Alexander Karpow und Aljona Medwedewa

Der Erlass zur vorübergehenden Präsenz ausländischer Militärangehöriger in Nicaragua, einschließlich der russischen, sei keine Sensation, sagte die Vertreterin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Russland arbeitet zusammen mit Nicaragua auf dem Gebiet der Verteidigung und der Bekämpfung neuer Herausforderungen und tut dies ganz offen, betonte die Diplomatin. Zuvor hatte der Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega, mit einem Erlass am 8. Juni die vorübergehende Präsenz ausländischer Militärangehöriger im Land zu humanitären Zwecken gestattet, unter anderem aus Russland. Experten bezeichnen die Zusammenarbeit Nicaraguas mit der Russischen Föderation als rechtmäßig und folgerichtig im Sinne der Aufrechterhaltung der Souveränität des zentralamerikanischen Landes.

Der Erlass über die vorübergehende Präsenz ausländischer Truppen, einschließlich jener aus Russland, auf dem Territorium Nicaraguas birgt nichts Sensationelles: Russland arbeitet schon seit langem mit dem Land zusammen, und die Zusammenarbeit ist von offiziellem Charakter. Entsprechend äußerte sich auch die Vertreterin des Außenministeriums der Russischen Föderation, Maria Sacharowa, gegenüber RIA Nowosti.

"Ich möchte die erhitzten Gemüter gleich beruhigen: Wir sprechen über ein routinemäßiges – zweimal im Jahr stattfindendes – Verfahren, bei dem Nicaragua ein Gesetz über die vorübergehende Zulassung ausländischer Militärangehöriger auf seinem Territorium zur Förderung der Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten, darunter die Reaktionsbereitschaft in humanitären und Katastrophenfällen, sowie die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des Drogenhandels verabschiedet hat."

In einer Mitteilung, die auf der Webseite des russischen Außenministeriums veröffentlicht ist, erinnert Sacharowa daran, dass Moskau eine gleichberechtigte Partnerschaft mit Nicaragua in einem breiten Spektrum von Themen aufbaut, die für beide Länder von Interesse sind. Unter anderem gilt dies für Fragen der Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich sowie für den Kampf gegen neue Herausforderungen und Bedrohungen, ergänzt die russische Diplomatin.

"Wir arbeiten hier offen und transparent, auf der Grundlage bestehender bilateraler Dokumente, namentlich der zwischenstaatlichen Abkommen über die militärisch-technische Kooperation aus dem Jahr 2001, über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des illegalen Handels und Konsums von Betäubungsmitteln und psychotropen Substanzen aus dem Jahr 2004 sowie über die Entwicklungszusammenarbeit der beruflichen Qualifikation auf diesen Gebieten aus dem Jahr 2013", erläutert Sacharowa.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums fügte hinzu: "Besondere Aufmerksamkeit im Laufe unserer Interaktion, die sich nicht gegen Drittländer richtet, widmen wir der Achtung der Grundsätze regionaler Sicherheit. Südamerika ist ein Kontinent des Friedens und der Stabilität", betonte die Diplomatin. "Es liegt nicht in unserem Interesse, diese Stabilität und das bestehende Gleichgewicht der Kräfte dort zu stören."

Historische Zusammenarbeit

Bereits im Februar hatte der russische Botschafter für Nicaragua, Honduras und El Salvador, Alexander Chocholikow, darauf hingewiesen, dass sich das russische Militär offiziell und rechtmäßig in der Republik aufhält, wobei russische Flugzeuge und Schiffe bei Bedarf auch der Zugang zu den Flugplätzen und Häfen des Landes gestattet sei.

"Die Sandinista-Regierung verabschiedet jährlich einen die ausländische Militärpräsenz auf dem Gebiet von Nicaragua betreffenden Erlass. Dieser umfasst die Möglichkeit des Transits und der Anwesenheit von Militärpersonal und militärischer Ausrüstung in Nicaragua aus einer Reihe von Ländern, darunter Russland und übrigens auch die USA, um den Erfahrungsaustausch im Bereich der militärischen und technischen Kooperation sowie gemeinsame Übungen und Aktivitäten im Kampf gegen den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen zu ermöglichen", sagte Chocholikow am 4. Februar in einem Gespräch mit RIA Nowosti.

Dem Diplomaten zufolge verlaufe die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Russland und Nicaragua planmäßig. Sie sei von den Handlungen des Westens unabhängig. Er unterstrich dabei, dass es zum souveränen Recht beider Staaten gehöre, über die Form der militärischen Zusammenarbeit zwischen Russland und Nicaragua zu entscheiden.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen der UdSSR und Nicaragua wurden im Jahr 1944 aufgenommen. In der Zeit des Kalten Krieges gewährte die Sowjetunion der Republik und der regierenden Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront umfangreiche politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung.

Zu Beginn der 1990er Jahre kam es in beiden Ländern zu politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die zwischenzeitlich zu einer Schwächung der Beziehungen führten. Ende der 1990er Jahre wurden die Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen Russland und Nicaragua wieder aufgenommen und haben sich seitdem weiterentwickelt.

Seinerseits unterstützt Nicaragua konsequent die russische Politik auf der internationalen Arena. So erkannte die Republik als zweiter Staat nach Russland im Jahr 2008 die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens und 2014 die Rechtmäßigkeit des Referendums an, welches zur Wiedervereinigung der Halbinsel Krim mit Russland führte. In diesem Jahr erklärte der Außenminister Nicaraguas, Denis Moncada Colindres, Russland habe ebenso wie Iran, Syrien und China das Recht, sein Territorium gegen die Bedrohung durch die militärische Infrastruktur der USA und der NATO zu verteidigen.

Die Kooperation zwischen Moskau und Managua entwickelt sich auch im militärischen Bereich. Im Jahr 2015 besuchte der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu das Land und unterzeichnete ein Paket militärisch-technischer Vereinbarungen mit Nicaragua, darunter ein vereinfachtes Verfahren für das Einlaufen russischer Marineschiffe in die Häfen des Landes.

Die Sorgen Washingtons

Die guten Beziehungen zwischen Nicaragua und Russland lösen in letzter Zeit jedoch Unruhe in Washington aus. Mehrere einflussreiche US-Medien haben Artikel veröffentlicht, in denen Experten die Ansicht vertreten, dass eine solche Zusammenarbeit den USA schadet und Russlands Stellung in Zentralamerika stärkt. Unter anderem veröffentlichte The Hill im März einen Artikel mit dem Titel "A Hemispheric Threat: Russia's Interference in Nicaragua".

"Die Beziehungen Russlands zu Nicaragua sind fest in der Geopolitik verankert, und Russland demonstriert seinen globalen Einfluss ungeachtet der Bemühungen der USA und Europas. Die schwerwiegenden Folgen [dieser Beziehung], unter anderem die wachsende Präsenz [Russlands] in Lateinamerika, sind eine Bedrohung für die Demokratie, die Sicherheit und die regionale Stabilität in der westlichen Hemisphäre", so The Hill.

Der Artikel erwähnt, dass die USA "potenziell Probleme bekommen könnten, weil Russland Vereinbarungen mit Nicaragua treffen könnte, die es ihm erlauben würden, seine [militärischen] Mittel und Einsatzkräfte im sogenannten Hinterhof der USA einzusetzen".

"Nicaragua ist Russlands zuverlässigster politischer und militärischer Partner in der Region", stellt die Zeitung fest.

Einen ähnlichen Tenor trägt auch der Artikel "Nicaragua ist Russlands neuer bester Freund in Lateinamerika" in der Washington Post, dem zufolge die USA auf die Zusammenarbeit Russlands und Nicaraguas reagieren müssten.

"Möglicherweise werden die USA eine härtere Gangart einlegen müssen, wobei sie nicht nur Ortegas repressives Regime, sondern auch geopolitische Bedenken gegenüber Russland berücksichtigen müssen", heißt es in dem Artikel.

Die Washington Post unterstreicht dabei, dass der Präsident von Nicaragua, Daniel Ortega, "die Beziehungen zu Russland für eine Angelegenheit ersten Ranges hält, die aus strategischer Sicht zu wichtig ist, um von einfachen Diplomaten behandelt zu werden".

Allerdings ist die Information, dass sich ausländische Militärangehörige in Nicaragua aufhalten dürfen, nicht wirklich sensationell, da nicht nur Russland, sondern auch die USA selbst zu den Staaten gehören, die das Hoheitsgebiet der Republik betreten dürfen, so der MGIMO-Professor Wladimir Sudarew in einem Gespräch mit RT. "Ich denke aber, dass eine freundschaftliche Beziehung, die Präsenz unserer Spezialisten und Streitkräfte, die Nutzung von Flug- und Seehäfen für uns gerade sehr angebracht ist", so der Politikwissenschaftler. Russland habe nicht vor, das Territorium der lateinamerikanischen Länder zu nutzen, um den USA in irgendeiner Weise zu drohen, betonte der Experte.

"Im Grunde ist niemand an einer Wiederholung der Kuba-Krise von 1962 interessiert. Das braucht keiner – auch Russland nicht. Warum aber nicht ein wenig Präsenz in Nicaragua? Weshalb sollte man nicht sozusagen bestimmte militärische Ausrüstung liefern und instand halten, wie es in Kuba und Venezuela geschieht?", fügte Sudarew hinzu.

Alexander Tschitschin, Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst beim Präsidenten der Russischen Föderation (RANEPA), erklärte, dass Nicaragua schon seit langem ein Ärgernis für Washington darstellt.

"Seit Nicaragua aus der Umarmung der USA entkommen ist, versucht es, eine ausgewogene Politik zu verfolgen, die sich darauf richtet, dass Lateinamerika kein 'Hinterhof' der USA ist, sondern eine Gruppe unabhängiger und souveräner Staaten, deren Rechte von ihrem großen nördlichen Nachbarn mit Füßen getreten werden", erklärt der Experte.

Tschitschin erinnerte daran, dass Nicaragua neben Venezuela und Kuba nicht zum Gipfeltreffen Amerikas eingeladen wurde, das am 6. Juni in Los Angeles eröffnet wurde, und das scheint eine ziemlich offensichtliche Geste zu sein.

"Nicaragua hat jede Berechtigung, das amerikanische Diktat zu fürchten, Verbündete zu suchen und hat das Recht auf eigene Wege zur Erhaltung und Stärkung seiner Souveränität. In all den Jahren, in denen das Land versucht hat, gleichberechtigte Beziehungen zu den USA aufzubauen, erntete es im Gegenzug nur Druck und den Vorwurf der Diktatur", erklärte der Experte.

In diesem Kontext sind die Ausweitung und Vertiefung der Beziehungen zu Russland eine ganz natürliche Erscheinung, fügte Tschitschin hinzu. "Dass Nicaragua danach strebt, gleichberechtigte Beziehungen zu Russland aufzubauen, und Russland und die russischen Streitkräfte in die Präsenz auf seinem Territorium miteinzubeziehen, ist absolut in Ordnung", so der Politikwissenschaftler. Allerdings, so Tschitschin, werden die Vereinigten Staaten nicht hinnehmen können, dass ein Land, das ihrer Meinung nach in der Einflusssphäre der Vereinigten Staaten liegt, nach Verbündeten an seiner Seite sucht.

"Doch sie werden sich damit zufriedengeben müssen. Sie können keine weiteren Maßnahmen gegen Nicaragua verhängen, denn das Land ist bereits mit Sanktionen belegt. Seinerseits ist Daniel Ortega ein erfahrener Mensch, ein seriöser Politiker, und er versteht es sehr gut, dass man sich nicht auf die Almosen aus den USA verlassen kann: Jegliche scheinbare Normalisierung der Beziehungen zu Washington ist eine Illusion, die letztendlich zu einem schweren Schlag führen wird. Und in gewissem Sinne benötigt er Schutz: Er muss seine Verteidigungsfähigkeit aufrechterhalten, er braucht Partner, auf die er sich verlassen kann. Russland ist in dieser Hinsicht ein zuverlässiger und starker Verbündeter", schloss der Experte.

Übersetzt aus dem Russischen.

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