Gesellschaft

Gewerkschaftsinstitut: Lohnerhöhungen sollten bei sechs Prozent liegen

Lohnerhöhungen von drei Prozent? Davon bleibt nicht viel übrig, wenn die Inflation bei über sieben Prozent liegt. Das WSI hat seinen jährlichen Tarifbericht vorgelegt und bescheinigt in fast ganz Europa Reallohnverluste. Die Lohnforderungen müssten weit höher sein.
Gewerkschaftsinstitut: Lohnerhöhungen sollten bei sechs Prozent liegenQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI), das zur gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung gehört, hat seinen jährlichen europäischen Tarifbericht vorgelegt. Er belegt, dass in den meisten europäischen Ländern die Inflation zu Verlusten bei den Realeinkommen führt, der Verteilungsspielraum eigentlich aber weit größer wäre.

Dieser Verteilungsspielraum berechnet sich aus Inflation und Produktivitätszuwachs, wobei das WSI besonders vorsichtig noch eine zweite Berechnung durchgeführt hat, bei der die Importkosten herausgerechnet wurden. Wichtig ist dieser Verteilungsspielraum, weil Lohnentwicklungen, die darunter liegen, zu einer Verteilung von unten nach oben führen – aus dem Topf der Lohneinkommen in den Topf der Unternehmensgewinne. Damit verändert sich gleichzeitig ein wichtiger Punkt in der volkswirtschaftlichen Bilanz, weil die Lohneinkommen im Gegensatz zu den Unternehmensgewinnen Nachfrage erzeugen. Das Ergebnis zu niedriger Lohnsteigerungen ist auf der einen Seite eine schwache Binnennachfrage, auf der anderen ein noch höherer Spekulationsdruck. Eine Erhöhung in Höhe des Verteilungsspielraums erhält schlicht das Verhältnis zwischen Lohneinkommen und Unternehmensgewinnen auf dem Niveau des Vorjahrs und beteiligt die Beschäftigten am Produktivitätszuwachs.

Für das vergangene Jahr kommen die Forscher für Deutschland auf eine nominale Erhöhung der Löhne von 1,7 Prozent, im Ergebnis aber auf einen Reallohnverlust von 1,5 Prozent. Besser davongekommen sind vor allem die Beschäftigten in Tschechien, die nur einen Reallohnverlust von 0,1 Prozent hatten. Am Schlimmsten traf es die Belgier mit einem Reallohnverlust von 2,7 Prozent.

Wenn man die Lohnentwicklung betrachtet, sollte man nicht vergessen, dass auch eine ganze Reihe Sozialleistungen daran gekoppelt sind, unter anderem die Renten. Eine schlechte Lohnentwicklung wirkt sich also auf weit breitere Teile der Gesellschaft aus, als man auf den ersten Blick annimmt.

Der Verteilungsspielraum für das Jahr 2022, den das WSI errechnet, liegt für Deutschland bei einem Anstieg der Verbraucherpreise um 6,5 Prozent und einer Produktivitätsentwicklung von 0,8 Prozent bei 7,4 Prozent. So hoch müssten im Schnitt die Tarifsteigerungen sein, damit die Quote der Löhne am Gesamteinkommen nicht sinkt (der höchste Verteilungsspielraum ergab sich übrigens für Polen mit 15,3, der niedrigste für Finnland mit 5,1 Prozent. Die großen Unterschiede sind allerdings weitgehend auf die Inflation zurückzuführen).

Klar ist, jede Lohnerhöhung, die unter der Inflationsrate liegt, wird zu einem Reallohnverlust. Betrachtet man die bisher in Deutschland abgeschlossenen Tarifverträge, bleibt der vom WSI berechnete Verteilungsspielraum allerdings weitgehend Utopie.

So schloss die Druckindustrie schon im Februar einen Tarifvertrag mit nur zwei Prozent Erhöhung ab, das Versicherungsgewerbe mit drei Prozent (und einer für das Folgejahr bereits festgelegten „Erhöhung“ um weitere zwei Prozent), die Energiewirtschaft mit 3,3 Prozent und das private Verkehrsgewerbe mit 5,2 Prozent, aber auf 18 Monate, was auf das Jahr eine Erhöhung unter vier Prozent ergibt. In der Nähe des Spielraums lag einzig die Gebäudereinigung mit einer Erhöhung um 9,7 Prozent für 15 Monate. Offen sind noch die Tarifverhandlungen im Metall- und Elektrogewerbe und in der chemischen Industrie.

In den meisten Bereichen wird die Inflation also nicht durch entsprechende Lohnerhöhungen abgefangen. Wobei die offizielle Inflationsrate noch nicht die reale Belastung widerspiegelt, weil gerade die besonders stark betroffenen Ausgabepositionen Energie und Ernährung bei den unteren Einkommen stärker zu Buche schlagen. Das WSI zitiert selbst eine Untersuchung der Europäischen Kommission, nach der "das untere Fünftel der Bevölkerung 7,5 Prozent des Einkommens für Energie sowie 16,2 Prozent für Lebensmittel und nicht-alkoholische Getränke" aufwendet, das obere Fünftel aber nur jeweils 4,5 und 11,9 Prozent.

Das Gleiche wiederholt sich in großem Maßstab auch in der europäischen Statistik: "Weil in den Warenkörben der wirtschaftlich schwächeren zentral- und osteuropäischen EU-Länder der Energie- und Lebensmittelverbrauch einen höheren Anteil ausmacht, wirkt sich der Preisschock hier stärker auf die Kaufkraft aus."

Die Berechnungen des WSI beinhalten selbstverständlich noch nicht die Preiserhöhungen im Energiesektor, die noch nicht stattgefunden haben. Tatsächlich dürften sich Ende dieses Jahres noch deutlich höhere Reallohnverluste in der gesamten EU abzeichnen.

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