Lateinamerika

Argentinien im Wahlkampf: Ex-Präsidentin Kirchner verkündet überraschende Entscheidung

Argentiniens ehemalige Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner hat sich entschieden: Sie will nicht für das Präsidentschaftsamt kandidieren. Stattdessen lässt sie ihrem früheren Kabinettschef Alberto Fernández den Vortritt - und will mit ihm ein Tandem bilden.
Argentinien im Wahlkampf: Ex-Präsidentin Kirchner verkündet überraschende EntscheidungQuelle: Reuters

von Maria Müller

Die Würfel sind gefallen. Endlich hat "Cristina", wie sie im Volksmund genannt wird, Farbe bekannt. Und dabei alle überrascht. Die Ex-Präsidentin (2007-2015) Cristina Fernández de Kirchner will dem langjährigen Getreuen Alberto Fernández den Vortritt lassen und an seiner Seite die zweite Führungsrolle in einem breiten nationalen Bündnis einnehmen.  

Ihre Anhänger und ihre Gegner hatten damit gerechnet, dass sie als direkte Herausforderin des neoliberalen Amtsinhabers Mauricio Macri antreten würde. Verschiedene Meinungsumfragen bescheinigten ihr seit November 2018 wachsende Chancen, Macri in einer Stichwahl am 24. Oktober zu überrunden.

Jetzt gilt es für das Kandidatenduo "Fernández-Fernández" die innerparteilichen Vorwahlen in ihrer peronistischen "Gerechtigkeitspartei" (PJ) zu gewinnen. Die argentinischen Medien kommen nicht umhin, diesem Zusammenschluss bereits heute eine starke Sogwirkung zuzuschreiben. Viele sehen darin einen genialen Schachzug, doch ein Teil der Anhänger reagierte zunächst enttäuscht. Sie wollten Cristina Fernández an erster Stelle sehen.

Der 60-jährige Alberto Fernández ist Rechtsanwalt und Professor für Straf- und Zivilrecht an der Universität von Buenos Aires. Er hat eine lange politische Laufbahn in verschiedenen politischen Gruppierungen hinter sich. Fernández führte ab 2003 gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten Néstor Kirchner (Ehemann von Christina) das Land in den Zustand eines zivilisierten und aufstrebenden Staates zurück.

Denn diese Regierung übernahm ein zerstörtes Argentinien, in dem Hunger, Chaos und fast unkontrollierbare Gewalt herrschten. Cristina weiß, dass diese Erfahrungen für die kommenden Jahre unverzichtbar sind. Allerdings hat sie bereits erklärt, es gehe "nicht darum, zur Vergangenheit zurückzukehren, oder das gleiche wie damals zwischen 2003 und 2015 zu machen."

Was immer das auch bedeuten mag…sie lässt solche Ankündigungen vorerst im Raum stehen. "Alberto hat die Fähigkeit zu entscheiden, zu organisieren, zu vereinbaren und stets die größtmögliche Basis für die Regierung zu suchen", lobte sie den erfahrenen politischen Partner.

Tatsächlich ist Fernández als sachlicher Dialogpartner bekannt, der in schwierigen Verhandlungen konstruktive Ergebnisse erreicht. In der kommenden Regierungsperiode sind solche Kenntnisse notwendig – die unbezahlbare Neu-Verschuldung Argentiniens wird harte Auseinandersetzungen mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) erfordern, auch mit der Konzern- und Finanzwelt. Manche Politik-Analysten befürchten, dass es zum Ausverkauf Argentiniens kommt, um den Schuldenberg abzubauen.

Die riesigen fruchtbaren Agrarzonen des Landes, seine reichen Bodenschätze, seine Infrastruktur wie Häfen, Flughäfen oder seine Wasserreserven, all das droht zur Verhandlungsmasse zu werden. Man fühlt sich an Griechenland mit seinem Euro-Schuldenberg erinnert.

Die politische Zukunftsvision der Cristina Kirchner besteht in einem großen nationalen Bündnis – nur so könne man die schwierige Situation des Landes überwinden. "Nicht nur, um die Wahlen zu gewinnen, sondern auch um zu regieren", erklärte sie in den vergangenen Wochen.

Die Botschaft zeigt bereits Wirkung. Innerhalb weniger Tage haben sich zahlreiche peronistische Parteien, ein Teil der Gewerkschaften sowie mehrere Chefs der Kommunalverwaltungen von Groß-Buenos Aires hinter das Duo Fernández-Fernández gestellt. Umfragen zeigen, dass die Anhänger beider Kandidaten schon heute das Gespann vollumfänglich unterstützen.

"Etwas hat sich verändert…es gibt wieder Hoffnung", sagte etwa der Gewerkschaftsführer Héctor Daer auf der ersten Wahlveranstaltung von Alberto Fernández.

Korruptionsverfahren gegen Cristina Fernández begleitet Wahlkampf

Die Entscheidung von Cristina Fernández mag auch noch einen anderen Hintergrund haben. Sie ist mit einer ähnlichen juristischen Verfolgung wie der brasilianische Ex-Präsident Luiz Ignacio da Silva konfrontiert. Von daher soll bereits zu Beginn des Wahlkampfes eine starke Alternative mit Alberto Fernández aufgebaut werden. Allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass das Verfahren gegen die Ex-Präsidentin und einige frühere Beamte sowie einen Bauunternehmer vor dem Termin der Stichwahl abgeschlossen ist.

Ihr und ihrem verstorbenen Ehemann Néstor wird vorgeworfen, bei 51 großen Bauaufträgen für Infrastrukturmaßnahmen die Firma Iguacel bevorzugt zu haben. Rund die Hälfte der Projekte seien nicht beendet worden oder hätten zusätzliche Kosten erfordert.

Cristina Kirchner schrieb dazu in ihrem kürzlich veröffentlichten Buch "Ehrlich gesagt…":

Als die selektiven Anzeigen gegen Iguacel aufkamen, habe ich wiederholt auf institutionellem und juristischem Weg eine vollständige Überprüfung aller öffentlichen Bauprojekte zwischen 2003 und 2015 beantragt. Sie wurden immer (von Präsident Macri) verweigert um zu verhindern, dass die falschen Anklagen ans Licht kommen.

Die Verteidiger Cristinas sagen, die Beweislage sei schwach, wichtige Untersuchungen seien nicht beendet worden. Zudem beklagen sie eine Reihe von Verfahrensmanipulationen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die negative Wirkung des Medienspektakels über den Prozess, der den Wahlkampf begleitet, den gegenwärtigen Stimmenanstieg für "Fernández-Fernández" wieder rückgängig machen kann.

Doch welche Alternativen haben die Argentinier?

Der noch amtierende neoliberale Präsident Mauricio Macri hat das Land in einem unvorstellbaren Ausmaß heruntergewirtschaftet. Er will für eine zweite Amtszeit antreten. Doch seine Partei "Cambiemos" hat in den vergangenen Monaten zum sechsten Mal Wahlen in den argentinischen Provinzen verloren.

Grassierende Armut und Inflation: Macri hat das Land heruntergewirtschaftet

Selbst in der tiefen Krise der Jahre 2002 - 2003 ging es den Argentiniern nicht so schlecht wie heute. Im Hintergrund des Desasters agiert der Internationale Währungsfonds, der nach den Rezepten ihrer Chefin Christine Lagarde die argentinische Ökonomie schlichtweg ruinierte.

Nach den Daten der katholischen Universität Argentiniens leben heute 41,2 Prozent der Kinder in Armut – das sind 6 Millionen Kinder; davon leiden 1,5 Millionen direkt Hunger. Die Inflation Argentiniens ist eine der höchsten in Lateinamerika: 45,5 Prozent; die Armutsrate beträgt insgesamt 36,6 Prozent, das sind 12 Millionen verarmte Menschen. Es mangelt zudem an Medikamenten und ärztlicher Versorgung für die Armen.

Macri verbrauchte einen IWF-Kredit in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar, nur um die Kapitalflucht und die Finanzspekulation einzudämmen – was ihm jedoch nicht gelang. Die vom IWF geforderten Sparmaßnahmen und die damit verbundene Verarmung breiter Schichten ließen den Binnenmarkt drastisch schrumpfen – viele kleine, mittlere und auch große Unternehmen mussten schließen. Wobei letztere zuvor ihre Millionenschulden dem Staat überließen.  Allein die großen Agrarkonzerne, die internationalen Bergbaufirmen und vor allem die Finanzspekulanten machten Höchstgewinne. 

Die Firmen der Familie Macri gehören zu den Nutznießern seiner Präsidentschaft. Die Millionenschulden des Postunternehmens, das in den Zeiten der Militärdiktatur den Macris übereignet wurde, versickern. Macri hat versucht, seine Verpflichtungen mit dem argentinischen Staat zu löschen, was ihm wegen dieser und anderer Finanzdelikte ein seit drei Jahren laufendes Untersuchungsverfahren einbrachte. 

Die Staatsanwältin Gabriela Boquin untersucht gegenwärtig die seit 2003 inaktive Firma. Sie hat festgestellt, dass Macri seitdem rund die Hälfte des Schuldenbetrags an eigene Unternehmen und an solche transferiert hat, die Funktionären seiner Partei Cambiemos gehören, anstatt das Geld an den Staat zurückzuzahlen. Hier könnte es demnächst auch zu einem Korruptionsprozess kommen. Die Presse schweigt sich weitgehend darüber aus.

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