Europa

EU-Kommission: Reform des Strommarktes – Auswirkungen am Beispiel Frankreichs

In wenigen Tagen soll die Europäische Kommission eine Reform des EU-Strommarktes vorlegen. Die französische Regierungschefin, Elisabeth Borne, begrüßte diese Aussicht, die ihrer Meinung nach "Produktionskapazitäten sichern und verhindern soll, dass die Verbraucher Schwankungen der Marktpreise ausgesetzt werden".
EU-Kommission: Reform des Strommarktes – Auswirkungen am Beispiel Frankreichs© IMAGO/Vincent Isore

Von Pierre Lévy

Wir sind weit, sehr weit entfernt von dem Enthusiasmus, mit dem sich die europäischen Führer auf die Liberalisierung freuten, die im Jahr 1996 von Brüssel eingeleitet wurde (und seitdem durch fortlaufende Deregulierungspakete fortgesetzt wurde). Sie behaupteten, dass der Wettbewerb für sinkende Preise sorgen werde und die Verbraucher glücklich mache. Kaum überraschend ist genau das Gegenteil eingetreten.

Die hohen Strompreise stellen nun eine große Bedrohung für die Wirtschaft der europäischen Länder, insbesondere Frankreichs dar. An vorderster Front stehen die Haushalte und die Klein- und mittelständischen Unternehmen. Viele Mitgliedsstaaten sehen sich mit sozialen Schäden und der Aussicht auf Industrieverlagerungen konfrontiert. Brüssel wird also vorschlagen, seine heiligsten Dogmen – am Rande, und wahrscheinlich nur vorübergehend – zu verbiegen. Wie ist es dazu gekommen?

Da Strom (beim derzeitigen Stand der Technik) nur sehr begrenzt speicherbar ist, können die klassischen Prinzipien des Wettbewerbs nicht funktionieren. Zwar hat der jüngste Preisanstieg viele Ursachen – unter anderem den Aufschwung der Post-COVID-Volkswirtschaften, den Verzicht auf russische Kohlenwasserstofflieferungen, die CO₂-Besteuerung und so weiter – doch die tiefere strukturelle Wurzel ist grundsätzlich die Liberalisierung des Stromsektors.

Nebenbei bemerkt: Sowohl in Paris als auch in Brüssel wird weiterhin offiziell behauptet, dass die "europäische Solidarität" uns gerade vor der Katastrophe bewahrt habe. In Wirklichkeit bedeutet diese Behauptung, dass man die physische Verbindung der Netze der verschiedenen Länder mit der wirtschaftlichen Marktlogik verwechselt, die heute die Transaktionen im Rahmen der Gemeinschaft regelt.

Erstere ist nicht zu beanstanden – und existierte auch vor der Liberalisierung, die zweite aber ist verantwortlich, und zwar wegen des sogenannten Grenzkostenmechanismus. Im Allgemeinen unterscheiden Ökonomen zwischen den "Vollkosten", die man erhält, wenn man alle Kosten zusammenzählt und durch die Anzahl der produzierten Güter teilt, und den "Grenzkosten", die den Kosten für die Produktion eines zusätzlichen Gutes entsprechen. Das gilt für ein Baguette ebenso wie für eine Kilowattstunde.

In einem "reinen und vollkommenen" Markt entspricht der Gleichgewichtspreis eines nicht lagerfähigen Gutes den Grenzkosten der teuersten Anlage, die in Betrieb genommen wird: Wäre er niedriger, würde diese Anlage stillstehen, und wäre er höher, würde die nächste Anlage in der Kostenreihenfolge in Betrieb gehen.

Im Strombereich werden die Erzeugungsanlagen vom Netzbetreiber in der Reihenfolge der steigenden Grenzkosten abgerufen. Der Preis auf dem Großhandelsmarkt ist daher der Preis der zuletzt aufgerufenen Anlage. Wenn 90 Prozent des Stroms aus Kernkraft mit Grenzkosten von 40 Euro pro Megawattstunde und 5 Prozent aus Gas mit 100 Euro pro Megawattstunde stammen, beträgt der Marktpreis … 100 Euro pro Megawattstunde. Wenn man einen niedrigeren Preis festlegen würde, würde der Besitzer des Gaskraftwerks dieses abschalten und man wäre gezwungen, jemandem den Strom abzustellen.

Sollte das zuletzt in Betrieb genommene Kraftwerk mit Gas betrieben sein, "bestimmt" das Gas den Strommarkt. Daher sind die Strompreise de facto an den Gaspreis gekoppelt, obwohl der französische Strom hauptsächlich aus Kernkraft oder Wasserkraft stammt.

Solange das staatliche Unternehmen EDF in Frankreich das Monopol innehatte, hatte die Doktrin der "Vollkosten"- Preisgestaltung für niedrige Preise gesorgt, da es einen Ausgleich zwischen den billigsten und den teuersten Produktionsmitteln gab. Es wurde ein "Durchschnittspreis" festgelegt, mit dem die Vollkosten des Produktionsparks gedeckt werden konnten. Und in diesem Durchschnittspreis zogen die 80 Prozent Kernkraft und 11 Prozent Wasserkraft den Preis nach unten, selbst wenn man zur Ergänzung einige Gas- oder Ölanlagen in Betrieb nehmen musste.

Dass die Liberalisierung Anfang der 2000er Jahre nicht zu einem sofortigen und massiven Preisanstieg geführt hat, lag daran, dass der Kraftwerkspark von nuklearen Überkapazitäten profitierte. Diese günstigen Überkapazitäten (da sie aus weitgehend abgeschriebenen Anlagen stammen) werden nun nach und nach durch zahlreiche Faktoren absorbiert: steigende Nachfrage, Einschränkungen bei den CO₂-Emissionen und ein Rückgang der russischen Gaslieferungen.

Sollte man also dem derzeitigen Hype um die "erneuerbaren Energien" nachgeben? Das Problem: Solar- und Windkraftanlagen produzieren "intermittierende" Energie, die von Sonne und Wind abhängt, und müssen daher durch "steuerbare" Anlagen wie Wasserkraft, Gas, Kohle oder Heizöl "verdoppelt" werden. Zudem können diese von Brüssel sehr geförderten erneuerbaren Energien nicht ohne erhebliche staatliche Subventionen betrieben werden – eine weitere implizite Blasphemie gegenüber dem Evangelium des Marktes.

Letzteres wird auch in anderer Hinsicht unterlaufen: Kein privater Investor wird auch nur einen Cent für die Errichtung einer Windkraftanlage oder den Bau eines Atomkraftwerks ausgeben, wenn die Aussicht auf eine "natürliche" Rentabilität ungewiss ist. Es sei denn, dass man sich auf öffentliche Zuschüsse oder langfristige Tarifgarantien verlässt. Selbst Kalifornien, das der Sympathie für das ehemalige sowjetische Gosplan (Staatliches Plankomitee) nicht verdächtig ist, hat gerade ein weiteres Beispiel dafür geliefert.

Was kann man unter diesen Bedingungen tun? Soll man, wie Brüssel es vorhat, provisorische Flicken, zeitlich begrenzte Ausnahmen oder "Preisschilde" erfinden oder tolerieren? All das ist heiße Luft und widerspricht de facto der Marktlogik, vermeidet es aber gleichzeitig, das heilige Dogma grundlegend infrage zu stellen, oder zuzugeben, dass dieses Dogma mit der Bereitstellung von Strom unvereinbar ist?

In diesem Fall würde Frankreich von der Wiederherstellung einer Monopolarchitektur profitieren, die es ihm ermöglicht hat, den günstigsten (und stabilen) Kilowattstundenpreis in Europa (und den geringsten Kohlenstoffgehalt) zu haben. Auch andere Länder könnten darüber nachdenken.

Die Zeit drängt. Es sei denn, man findet sich mit dem sozialen Absturz und dem industriellen Zerfall ab.

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