Europa

"Thank you, USA": Radosław Sikorski erneut polnischer Außenminister

Donald Tusk, als "deutscher Agent" in Polen, beginnt sofort mit dem Systemwechsel. Der neue Ministerpräsident schlug jüngst vor, alle Geheimdienstchefs zu entlassen. Auch der EU-Botschafter der Partei PiS wurde schon abberufen. Hat Brüssel endlich wieder Freunde in Warschau?
"Thank you, USA": Radosław Sikorski erneut polnischer Außenminister© © Screenshot: Twitter-Kanal @radeksikorski, 27.09.2022

Von Elem Chintsky

Knapp zwei Monate nach den polnischen Parlamentswahlen wurde der neue Ministerpräsident der polnischen Republik vereidigt: Donald Tusk.

Die nationalkonservative Prawo i Sprawiedliwość (PiS) musste vorerst endgültig die Staffel an ihre langjährigen ideologischen Kontrahenten aus dem Koalitionslager der Linken, Grünen, Progressiven und Liberalkonservativen weitergeben. Der Frust darüber ist wohl am besten den Worten des langjährigen PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński zu entnehmen, der am Montagabend im polnischen Parlament Tusk direkt als einen "deutschen Agenten" bezeichnete. Kaczyńskis kurzer und ungeplanter Ausspruch am Rednerpult kam, nachdem Tusk seine Amtsantrittsrede beendet hatte, in der er unter anderem die jahrelangen Beschuldigungen seitens des PiS-Chefs, er sei "Deutscher" und "Berlin verpflichtet", ad acta legte. So erklärte Tusk, dass seine beiden Großväter während des Zweiten Weltkrieges eine Ausreise in den Kern des Dritten Reiches verwarfen, um stattdessen als deutsche Verräter in der Danziger Umgebung in Konzentrationslagern inhaftiert zu werden.

Tusk schaltet sofort in den 5. Gang

Am vergangenen Mittwoch nahm der parlamentarische Ausschuss für Geheimdienste des polnischen Sejms ein schriftliches Ersuchen von Tusk entgegen. Sein Anliegen: die Leiter aller fünf polnischen Geheimdienste zu entlassen.

Konkret handelt es sich um die Dienste Agencja Wywiadu, Agencja Bezpieczeństwa Wewnętrznego, Centralne Biuro Antykorupcyjne, Służba Wywiadu Wojskowego sowie Służba Kontrwywiadu Wojskowego (jeweils zu Deutsch: Auslandsnachrichtendienst, Agentur für Innere Sicherheit, Zentrales Antikorruptionsbüro, Militärischer Nachrichtendienst und Militärische Spionageabwehr). Die jeweiligen Chefs zurzeit sind (in derselben Reihenfolge) die Oberste Bartosz Jarmuszkiewicz, Krzysztof Wacławek und Andrzej Stróżny – sowie die beiden Brigadegeneräle – Marek Łapiński und Maciej Szpanowski.

Stróżny gilt in seiner Berufslaufbahn noch als die kontroverseste Figur. Der Zeitraum betrifft vor allem die erste große rechtsnationale Regierungskoalition von PiS in den Jahren 2005 bis 2007. Ein halbes Jahr vor den polnischen Parlamentswahlen 2007, also im April, war Stróżny noch als Mitarbeiter der Agentur für Innere Sicherheit in unmittelbarer Nähe einer Razzia im Haus der polnischen Linkenpolitikerin Barbara Blida (Partei: Sojusz Lewicy Demokratycznej), während der sie Selbstmord mit einer Schusswaffe begangen haben soll. Blida war zu dem Zeitpunkt eine der Hauptverdächtigen in einem landesweiten Korruptionsskandal. Der Grund und die Umstände von Stróżnys Präsenz am Tatort wurden verschleiert. Im Jahr 2009 wurde ihm von einem parlamentarischen Ausschuss, der bereits unter der Kontrolle der damaligen Bürgerplattform von Donald Tusk war, diesbezüglich das "Veräußern von Unwahrheit unter Eid" vorgeworfen. Damals seines Dienstes enthoben, setzte er seine Karriere mit den PiS-Wahlsiegen von 2015 erneut fort. Erst im Jahr 2020 – über eine Dekade später – hatte die wieder unter PiS stehende Staatsanwaltschaft offiziell jegliche Verfahren gegen Stróżny wegen Falschaussagen unter Eid verworfen. Stróżnys bipolarer Werdegang – von der Absetzung wegen Amtsmissbrauchs, hin zur erneuten Bekleidung hoher Ämter unter der PiS – illustriert den politischen Revanchismus, den sich die Bürgerplattform (PO) und die PiS schon über viele Jahre liefern. 

Außer bei Stróżny, sind evidente politische Zugehörigkeiten der abzusetzenden Chefs der Geheimdienste auf den ersten Blick nicht zu attestieren. Allein die Tatsache aber, dass alle Funktionäre unter der PiS vorgeschlagen und vom PiS-nahen Staatspräsidenten Duda berufen wurden, legt die Gründe für ihre zügige Entlassung durch die neue Regierung in Warschau offen. Jeglicher Behinderung der zukünftigen politischen Arbeit soll vorgebeugt werden. Diese "gemäßigten Säuberungen" sollten aber nicht zu große Empörung verursachen (außer bei der PiS selbst), da sie einer nachvollziehbaren Ratio der jeweils neu legitimierten Regierung folgen und in Polen in dieser Form seit spätestens 2005 praktiziert werden. Alle jetzigen Geheimdienstchefs wurden in der zweiten Hälfte – beziehungsweise der späten zweiten Hälfte – der "Ära PiS" (2015–2023) verpflichtet (Jarmuszkiewicz in 2022, Wacławek in 2022, Stróżny in 2020, Łapiński in 2020, Szpanowski in 2022).

Staatspräsident Duda zeigte sich bei der offiziellen Vereidigungszeremonie der neuen Regierung zuversichtlich und ging von einer sehr guten, neuen Zusammenarbeit aus. Ähnlich wie in den USA, darf ein polnischer Präsident, der bereits zwei Amtsperioden (jeweils fünf Jahre) gedient hat, kein drittes Mal zur Wahl antreten. Die ohnehin anfällige Synergie zwischen dem 2015 gewählten und 2020 wiedergewählten Andrzej Duda und der neuen Tusk-Regierung muss bis ungefähr Mai 2025, knapp anderthalb Jahre, von der neuen Warschauer Führung durchgehalten werden. Falls die Regierungskoalition zu dem Zeitpunkt die Gunst der Wähler nicht verloren und ihren politischen Einfluss gegenüber der PiS sogar ausgedehnt hat, wird der von ihnen gestellte Präsidentschaftskandidat gute Chancen haben, im Duell mit dem PiS-Kandidaten zu bestehen und das Amt zu besetzen. Dann wäre der Beginn einer "neoliberalen Brüssel-Ära" in Polen offiziell bestätigt – mit allen politischen Folgen. Dazu gehören die gesellschaftlichen Umerziehungsinitiativen nach dem Muster der USA und Deutschlands – hier besonders die Frage der LGBTQ-Genderideologie – sowie eine Liberalisierung der Migrationsfrage, indem man dem EU-Migrationspakt vorbehaltlos zustimmt. Letzteres wird verschleiert damit, dass sich Warschau auf all die ukrainischen Flüchtlinge, die man in den letzten Jahren bereits bei sich aufnahm, berufen wird, um "kulturferne" Migranten aus muslimischen Ländern in Polen nicht aufnehmen zu müssen. 

Außerdem wurde am selben Tag der polnische Botschafter in der Europäischen Union, Andrzej Sadoś (PiS), entlassen und aus Brüssel abberufen. Eine der neuen Regierung konforme und dem Brüsseler Diktat hörige Nachfolge ist zeitig zu erwarten, obwohl bereits jetzt die Führung des Büros der polnischen Vertretung in Brüssel von Piotr Serafin übernommen wurde. Serafin war in den Jahren 2014 bis 2019 Kabinettschef des Präsidenten des EU-Rates unter Donald Tusk.

Alte Freunde wieder an der Macht: "Thank you, USA"

Wer glaubt, dass der Regierungswechsel in Warschau dem Kreml groß zugutekommt oder zumindest ein Tauwetter in den bilateralen Beziehungen darstellt, sollte die Euphorie bündeln. Denn die wohl wichtigste und aussagekräftigste politologische Arbeit der letzten Jahre – nämlich ein kurzer und bündiger, aus 13 Zeichen bestehender Tweet – kam von Radosław Sikorski. Darin dankte der ehemalige polnische Verteidigungsminister unter PiS (2005–2007) noch am selben Tag den USA für die Zerstörung des deutsch-russischen Erdgas-Pipeline-Projekts Nord Stream. Sikorski ist ein enger Verbündeter Donald Tusks und diente unter ihm als Außenminister in den Jahren 2007 bis 2014. Beide Politiker sind Adepten des verstorbenen US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzeziński. Mit der jüngsten Vereidigung Tusks wurde indessen auch Sikorski in seiner alten Rolle als polnischer Chefdiplomat verpflichtet.

Vielen entgeht der Fakt, dass die sogenannte "Revolution der Würde" in der Ukraine und der dank ihr blutig erzwungene, verfassungswidrige Regierungssturz in Kiew im Februar 2014 durch Donald Tusk und Radosław Sikorski – beide in denselben Rollen, welche sie nun erneut innehaben – von Warschau aus forciert und mitfinanziert wurde. Demnach sollte von der neuen polnischen Führung keine allzu große Mäßigung in der Frage um den Ukraine-Krieg erwartet werden – nicht, bevor nicht auch in Brüssel und Washington, D.C. ein Kurswechsel sichtbar wird. Das "neue" Warschau wird vermutlich, ähnlich wie das "alte", einen NATO- und EU-Beitritt Kiews unterstützen. Inwieweit Tusk und Sikorski jedoch den Einsatz von polnisch geführten "NATO-Friedenstruppen" in der Westukraine befürworten würden, wie Kaczyński es 2022 vorschlug, bleibt abzuwarten.

Der Fairness halber sei eine gängige Auslegung von PiS-Ideologen für Sikorskis Verhalten zu nennen: Demnach sei er immer ein "russischer Agent" gewesen, der konkret vom Kreml für den berühmten Tweet bezahlt wurde, um die USA der Nord Stream-Sprengung zu bezichtigen. Durch diese Schablone werden auch die anderen politischen Entscheidungen Sikorskis verstanden. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr klein, dass diese Auslegung richtig ist, da Sikorskis Biografie gezeichnet ist von angloamerikanischer Ausbildung, Verpflichtung, Initiation sowie von der Verfestigung in der Kunst des Teile-und-herrsche-Prinzips der neokonservativ-neoliberalen Tradition des US-geführten Westens. Eine Tradition, der auch im Endeffekt das PiS-Establishment angehört. Würde sich dennoch herausstellen, dass Sikorski wahrlich stets ein loyaler "russischer Agent" war, wäre der Grad der meisterhaften Unterwanderung im Machtkontext Osteuropas vom Ausmaß her eines Harry Dexter White ebenbürtig.

Zurzeit aber sei festzuhalten, dass trotz einiger kosmetischer und ästhetischer Änderungen in der außenpolitischen Handhabe Polens "Thank you, USA" nicht nur für Sikorski individuell, sondern für die gesamte neue Regierungskoalition in Warschau das geopolitische Credo gegenüber Russland und dem Rest der Welt bleibt. 

Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.

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