Deutschland

"Jahrhundert-Pandemie"? Kliniken melden weniger Lungenentzündungen und Beatmungsfälle als im Vorjahr

Droht Kliniken samt Intensivstationen ein COVID-19-Kollaps? Sind sie wirklich stärker belegt als im Vorjahr? Neue Daten der Initiative Qualitätsmedizin zeigen das Gegenteil. Demnach sanken die Zahlen der Atemwegserkrankungen, der zu Beatmenden und der daran Verstorbenen sogar.
"Jahrhundert-Pandemie"? Kliniken melden weniger Lungenentzündungen und Beatmungsfälle als im VorjahrQuelle: AFP © Ina FASSBENDER / AFP

Ein Gastbeitrag von Susan Bonath

Die Kliniken seien überlastet, der Corona-Kollaps drohe. Solche Meldungen schießen derzeit beinahe im Stundentakt durch die News. Das Robert Koch-Institut (RKI) wartet mit steigenden Todeszahlen auf – von Verstorbenen an oder auch nur mit dem Coronavirus. Am Mittwoch meldete die dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) untergeordnete Behörde fast 600 Tote. Die Politiker warnen, Bund und Länder reagieren mit immer härteren Lockdowns und Einschnitten in Grundrechte. Das wirft Fragen auf. Denn die angeblich gegenüber den Vorjahren massiv erhöhte Belegung der Kliniken entpuppt laut neuer Zahlen der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) als Schimäre, als reine Einbildung. 

Weniger Atemwegserkrankte, Intensivpatienten und Beatmete

Der Verband IQM, in dem insgesamt 500 Kliniken in Deutschland und der Schweiz organisiert sind, vergleicht in seiner Erhebung Daten zu Patientenzahlen und Erkrankungen der Jahre 2019 und 2020 in 272 deutschen Krankenhäusern miteinander. Erfasst wurden bisher die Kalenderwochen 1 bis 44 dieser beiden Jahre. Das sind jeweils die Monate Januar bis Oktober. Die Daten fördern Erstaunliches zutage:

Zum einen versorgten diese Krankenhäuser in den ersten zehn Monaten dieses Jahres insgesamt 12,8 Prozent weniger Menschen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Von Januar bis Oktober 2019 waren rund 3,52 Millionen Patienten hospitalisiert, in diesem Jahr nur 3,06 Millionen – rund 451.000 weniger.

Zweitens nahm die Zahl 2020 der in den Kliniken behandelten Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen (SARI-Fälle) gegenüber 2019 sogar um 15,6 Prozent ab. So wurden in den ersten zehn Monaten vorigen Jahres 198.296 SARI-Patienten versorgt, im Jahr 2020 waren es bisher 167.375, einschließlich der COVID-19-Fälle. Der prozentuale Anteil von SARI-Fällen an allen in Kliniken behandelten Erkrankungen sank gegenüber 2019 leicht von 5,6 auf 5,5 Prozent.

Drittens war die Auslastung der Intensivstationen (ITS) der untersuchten Krankenhäuser in diesem Jahr insgesamt geringer als im Jahr 2019. So meldeten diese für Januar bis Oktober des vergangenen Jahres 175.314 intensivmedizinisch versorgte Patienten, im gleichen Zeitraum dieses Jahres waren es mit 164.808 rund 10.500 Kranke weniger. Das ist ein Minus von rund sechs Prozent.

Viertens wurden in diesem Jahr bislang insgesamt fast 7.000 ITS-Patienten weniger invasiv beatmet als im gleichen Zeitraum des letzten Jahres. Ihre Zahl sank von 85.575 im Jahr 2019 auf 78.580 in diesem Jahr – das ist ein Minus von 8,2 Prozent. Da nicht zwangsläufig alle beatmeten Patienten an Atemwegsinfektionen leiden, berechnete die IQM den Anteil Letzterer an dem Gesamtaufkommen aller Patienten. Dieser Anteil stieg demnach tatsächlich, wenn auch nur marginal von 2,43 auf 2,56 Prozent.

Weniger Todesfälle in Kliniken

Nicht anders sieht es bei den Todesfällen in den Krankenhäusern aus. Insgesamt starben von Januar bis Oktober dieses Jahres 75.612 Menschen in Kliniken, im Vergleichszeitraum 2019 hatte es dort es mit 79.412 Verstorbenen knapp 4,8 Prozent mehr Todesfälle gegeben. Auch die Anzahl der an schweren Atemwegsinfektionen Verstorbenen sank um denselben Prozentsatz von 23.553 im letzten Jahr auf 22.420 in diesem Jahr.

In der Intensivbehandlung insgesamt – unabhängig von der Diagnose – fanden in diesem Jahr bisher ebenfalls weniger Menschen den Tod als im Vorjahr. Ihre Zahl sank um 4,7 Prozent von 31.287 auf 29.809. Unter den Toten befanden von Januar bis Oktober vorigen Jahres 25.284 invasiv beatmete Patienten, in diesem Jahr waren es mit 23.388 Toten 7,5 Prozent weniger.

Was tatsächlich leicht gestiegen ist – und dies betont die IQM besonders, das ist der Anteil von schwer an Atemwegsinfekten Erkrankten am gesamten Patientenaufkommen, welches allerdings insgesamt stark gesunken ist. So wurden 2019 knapp fünf Prozent der 3,52 Millionen Patienten auf einer ITS versorgt, in diesem Jahr waren es rund 5,4 Prozent von 3,06 Millionen insgesamt Behandelten.  

Andere Erreger scheinen zu verschwinden

Die IQM erfasste mit den 272 Einrichtungen lediglich ein Siebtel der rund 1.900 Kliniken in Deutschland. Außerdem könnten die Monate November und Dezember zumindest angesichts der aktuell publizierten Zahlen das Bild noch einmal sehr verändern. Die Daten stellen also lediglich einen zeitlichen und räumlichen Ausschnitt dar, der jedoch die sogenannte "erste Welle" voll umfasst. Dass in dieser Zeit das Geschehen in den anderen 1.600 Kliniken völlig anders gewesen sein könnte, ist dabei aber unwahrscheinlich.

Das geringere Patientenaufkommen insgesamt und ebenso auf den Intensivstationen dürfte sich mit massenhaft verschobenen Operationen zu Beginn der Pandemie erklären. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) mussten rund 1,6 Millionen Menschen zwischen Mitte März und Mitte Mai auf Eingriffe vorläufig verzichten, darunter etwa 50.000 Krebspatienten. Ziel war es, Betten für COVID-19-Fälle freizuhalten.

Die verschobenen Operationen erklären aber nicht die signifikante Abnahme schwerer Atemwegserkrankungen, wie Lungenentzündungen, trotz pandemischer Ausbreitung eines Erregers, der eben solche verursacht. Fragwürdig erscheinen auch Meldungen von einer angeblich drastischen Zunahme der Beatmungsfälle. Denn die Analyse zeigt: Insgesamt sind diese Fallzahlen gegenüber 2019 sogar gesunken. Was derzeit lediglich ansteigt, ist der Anteil an positiv auf das neue Coronavirus Getesteten unter allen Patienten.

Es erscheint nicht plausibel, dass das neuartige Coronavirus andere Viren und Bakterien, die für Atemwegsinfektionen verantwortlich sein können, derart verdrängt hat, dass die IQM statt eines Zuwachses sogar eine Abnahme dieser Fälle verzeichnen konnte. Gleichwohl räumte das RKI gegenüber der Autorin mehrfach unumwunden ein, dass die Todesursache COVID-19 schlicht auf positiven Testergebnissen irgendwann vor, manchmal sogar nach dem Tod basiert, unabhängig von einer klinischen Diagnose der Verstorbenen. Da Coronaviren aber zuerst die Atemwege befallen, stellt sich die Frage: Erlagen die als COVID-Fälle erfassten Verstorbenen tatsächlich dem neuartigen Coronavirus namens SARS-CoV-2?

COVID-19 oder nur Verdachtsfall?

Das Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) wies heute 4.278 COVID-19-Patienten in Intensivstationen aus, von denen 2.521 beatmet worden seien. Insgesamt waren knapp 22.500 ITS-Betten belegt – etwa 800 weniger als vor Corona Anfang März 2020.

Ein Blick in das Register zeigt: Die Gesamtzahl der bereitstehenden ITS-Betten sinkt kontinuierlich. So meldeten die Kliniken beispielsweise am 1. Juli rund 32.600 bereitstehende Betten, von denen rund 21.500 belegt waren. Jetzt weist die DIVI nur noch rund 27.300 verfügbare Betten aus. Nach allem, was bekannt ist und wie auch DIVI-Pressesprecher Torben Brinkema die Situation gegenüber der Autorin vor einigen Wochen einschätzte, liegt das "lediglich" am Personalmangel. Dieser Umstand war allerdings schon vor Corona akut. Zudem wurden während der letzten Monate sogar weitere Krankenhäuser geschlossen.

Fraglich bleibt, wie die Kliniken selbst die COVID-19-Fälle erfassen. Laut IQM-Analyse werden nämlich nicht nur positiv Getestete unabhängig vom klinischen Krankheitsbild als solche gewertet, sondern auch negativ getestete "Verdachtsfälle". Dazu reicht es, eine Lungenentzündung zu haben. Oder dem Betroffenen kann ein Kontakt mit einem positiv Getesteten nachgewiesen werden.

In der Kalenderwoche 21 (Mitte Mai) zum Beispiel verzeichneten die 272 Kliniken demnach knapp 400 positive Getestete als COVID-19-Fälle. Hinzu kamen aber rund 3.000 negativ getestete "COVID-19-Verdachtsfälle". Im Sommer sank die Zahl der wöchentlichen laborbestätigten Corona-Fälle in den Kliniken auf unter 100, während allerdings bis zu 1.000 "Verdachtsfälle" hinzukamen. In der letzten Oktoberwoche kehrte sich das Verhältnis erstmals um: Die teilnehmenden Krankenhäuser verzeichneten insgesamt rund 1.000 Patienten mit positivem Testergebnis und etwa 900 Fälle, die sie als "Verdacht" einstuften.

Der Autorin ist zumindest in einem Fall bekannt, dass eine Person, die Anfang Dezember wegen einem kleinen Eingriff in einer Hamburger Klinik lag, trotz negativen Tests auf eine COVID-Station mit hohen Sicherheitsvorkehrungen verbracht wurde. Der Grund: Ein Mitpatient hatte bei einem Vorsorgetest ein positives Ergebnis erhalten. 

Auf der Webseite des DIVI-Registers heißt es dazu jedoch unter FAQs, dass "nur nachgewiesene Infektionen mit SARS-CoV-2 und KEINE reinen Verdachtsfälle" (Hervorhebung im Original, Anm. d. Red.) in die Statistik aufgenommen werden. "Das bedeutet COVID-19-Fälle werden im Intensivregister als solche gezählt, sobald ein positiver Test vorliegt."

 Welchen Anteil hat Corona am Geschehen? Dem RKI ist das egal

Um die Fragen zu beantworten, bräuchte es Daten zu den klinischen Differenzial-Diagnosen der als COVID-19-Fälle geführten Patienten und Verstorbenen. Antworten wären nach fast einem Jahr Pandemie zu erwarten und schon deshalb wichtig, weil es in vielen Ländern tatsächlich eine hohe, in Deutschland im April eine leichte Übersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren gab. Auch deuten die vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Daten zu den Sterbefällen bis Anfang November eine weitere beginnende Welle von vermehrten Todesfällen an.

Der Anstieg der Todesfälle korreliert aber nicht nur mit den gemeldeten steigenden Positivzahlen, sondern auch mit der Härte der Maßnahmen, die Existenzen gefährden, viele in die Armut treiben, für dramatische Notstände in Pflegeheimen und Krankenhäusern sorgen, soziale Einrichtungen lahmlegen und massive psychosoziale Folgeschäden mit sich bringen dürften. Dazu ist anzumerken: Ein zeitlicher Zusammenhang, also eine Korrelation, bedeutet nicht unbedingt, dass ein Ereignis durch das andere ausgelöst wurde. Das Problem ist die Frage nach einer möglichen, aber nicht zwingend vorhandenen Kausalität.

Es bleibt weiterhin unklar, wie viel das Coronavirus zu den Kranken- und Sterbefällen wirklich beiträgt. Auf Nachfrage der Autorin gab die stellvertretende RKI-Sprecherin Marieke Degen zum wiederholten Mal das Übliche als Antwort: Für die Klassifizierung genüge ein positiver Labortest. Schwer Vorerkrankte hätten ein höheres Risiko zu sterben. Es sei "in der Praxis häufig schwierig zu entscheiden, inwieweit die SARS-CoV-2-Infektion direkt zum Tod beigetragen hat", führte Degen aus. Und: "Sowohl Menschen, die unmittelbar an der Erkrankung verstorben sind (gestorben an) als auch Personen mit Vorerkrankungen, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren, und bei denen sich nicht abschließend nachweisen lässt, was die Todesursache war (gestorben mit) werden erfasst."

Über die Einordnung der Todesfälle in die COVID-19-Statistik, deren Altersmedian laut RKI mit derzeit 83 Jahren mehrere Jahre über dem allgemeinen durchschnittlichen Sterbealter liegt, entscheide das jeweilige Gesundheitsamt alleine, so die Sprecherin weiter. Da mische sich das RKI nicht ein. Daten über Differenzial-Diagnosen lägen auch nicht vor, sagte Degen. Mit anderen Worten: Die oberste Gesundheitsbehörde der Bundesrepublik hat nach wie vor kein Interesse daran, zu differenzieren. So können die Zahlen, die allen Maßnahmen zugrunde liegen, weiterhin nicht sachgerecht eingeordnet werden. Die Angst vieler Menschen fußt auf denselben schwammigen Annahmen.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

(Hinweis der Redaktion: Der Text wurde um die Information ergänzt, dass COVID-19-Fälle im Intensivregister als solche gezählt werden, sobald ein positiver Test vorliegt.)

Mehr zum Thema - Kaputt gespartes Gesundheitssystem: Kollaps droht nicht wegen, sondern auch ohne Corona 

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.