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Wall Street: Ab jetzt auf Wasserknappheit wetten

Während bereits jetzt mehr als eine Milliarde Menschen die Problematik von Wasserknappheit zu spüren bekommen, verwandelte der Finanzsektor das lebensnotwendige Gut jüngst offiziell in eine Ware. Schon seit Jahren bereiten sich Großinvestoren auf das Geschäft mit Wasser vor.
Wall Street: Ab jetzt auf Wasserknappheit wettenQuelle: www.globallookpress.com © Sergi Reboredo/ZUMAPRESS/ Global Look Press

In dieser Woche wurde Wasser zum ersten Mal neben Gold und Öl als Rohstoff an der Wall Street geführt. Marktteilnehmer, darunter Landwirte, Kommunen und Hedgefonds, können somit gegen die zukünftige Wasserverfügbarkeit in Kalifornien "hedgen" oder darauf wetten, wie Bloomberg am Sonntag berichtete. Kalifornien ist der größte Landwirtschaftsmarkt der USA und die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Das in Chicago ansässige globale Marktunternehmen CME Group kündigte erstmals im September – als an der Westküste der USA durch erhöhte Temperaturen und Trockenheit schlimme Waldbrände wüteten – an, dass es bald plane, Kontrakte innerhalb des kalifornischen Spot-Wassermarktes im Wert von 1,1 Milliarden Dollar anzubieten.

"Klimawandel, Dürren, Bevölkerungswachstum und Umweltverschmutzung werden wahrscheinlich dazu führen, dass Wasserknappheit und die Preisentwicklung in den kommenden Jahren ein heißes Thema sein werden", so Deane Dray, Analystin und Direktorin von RBC Capital Markets, gegenüber Bloomberg.

Laut dem Weltwasserentwicklungsbericht 2020 der UNO lassen die wissenschaftlichen Beweise keine Zweifel: Das Klima verändert sich bereits und wird sich auch weiter verändern. Und es wird die Gesellschaften weltweit vor allem in puncto Wasser beeinflussen. Der Klimawandel werde sich auf die Verfügbarkeit, Qualität und Quantität von Wasser auswirken und damit die effektive Wahrnehmung des Menschenrechts auf Wasser und Sanitärversorgung für potenziell Milliarden von Menschen gefährden. Alle lebenswichtigen Bereiche wie Ernährungssicherheit und menschliche Gesundheit, die wirtschaftliche Entwicklung, Armutsbekämpfung sowie die Energieproduktion wird die Veränderung des Wasserkreislaufs beeinflussen.

Die Folgen von unzureichendem Wasserzugang zeigen sich schon jetzt in vielen Teilen der Welt: mangelnde Bildung, Krankheiten, schlechte Ernährung, Konflikte und Flüchtlinge.

Nach Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird die Zahl der Menschen, die unter Wasserstress leiden, von heute bereits bei mehr als einer Milliarde auf knapp vier Milliarden im Jahr 2030 ansteigen.

Doch dass Wasser ein Menschenrecht ist, passt nicht in die Profitlogik gewisser global agierender Sektoren und wurde somit schon frühzeitig ignoriert. Mit dem Blick auf die wachsende Lücke zwischen Wasserangebot und -nachfrage sahen große Banken und Anleger vor allem eines: eine Option, Profit zu generieren. Wasserknappheit und -hortung als Anlagemöglichkeit. So hieß es in einem Aktiendokument von JP Morgan vor fast zehn Jahren: "Die Wall Street scheint sich der Investitionsmöglichkeiten in den Bereichen Wasserversorgungsinfrastruktur, Abwasseraufbereitung und Bedarfsmanagementtechnologien bewusst zu sein."

Goldman Sachs beispielsweise sicherte sich bereits vor über zehn Jahren unter anderem in Südamerika grundwasserreiche Ländereien und hat seit 2006 mehr als zehn Milliarden US-Dollar für Infrastrukturinvestitionen, zu denen auch Wasser gehört, angehäuft. Wasser sei "das Erdöl des nächsten Jahrhunderts", hieß es bei einer Goldman-Sachs-Tagung im Jahr 2008.

Weitere prominente Namen wie Citigroup, UBS, Deutsche Bank, Credit Suisse, Macquarie Bank, Barclays Bank, die Blackstone Group, Allianz, HSBC Bank und weitere haben sich bereits frühzeitig auf die künftig heiß begehrte Ressource Wasser gestürzt. Laut einem Bericht der New York Times aus dem Jahr 2008 haben "Goldman Sachs, Morgan Stanley, Credit Suisse, Kohlberg Kravis Roberts und die Carlyle Group eine geschätzte 'Kriegskasse' von 250 Milliarden Dollar angehäuft – ein Großteil davon wurde in den letzten zwei Jahren aufgebracht –, um eine Flutwelle von Infrastrukturprojekten in den Vereinigten Staaten und in Übersee zu finanzieren." Auch private Milliardäre und Tycoons haben sich bereits Tausende von Hektar Land mit Grundwasser, Seen sowie in Wasserversorgungsunternehmen und Wassertechnik- und Technologieunternehmen auf der ganzen Welt eingekauft, darunter die Familie von George H. W. Bush, dem früheren republikanischen US-Präsidenten.

Auch die deutsche Allianz SE legte bereits 2008 den Allianz RCM Global Water Fund auf, der in Aktienwerte von wasserbezogenen Unternehmen weltweit investiert und auf langfristigen Kapitalzuwachs setzt.
An die Investoren gerichtet, prophezeite die Dresdner Bank AG der Allianz SE die Chancen durch Investitionen in Wasser: "Steigende Ölpreise verstellen den Blick auf eine noch viel gravierendere Knappheit: Wasser. Die globale Wasserwirtschaft steht vor einem milliardenschweren Investitions- und Modernisierungsbedarf. Die Dresdner Bank sieht hier attraktive Renditechancen für langfristig orientierte Investoren."

Der Grund für die Attraktivität von Versorgungsunternehmen – wie Wasserversorger und -aufbereiter – ist, dass diese auch in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs als relativ sichere Anlagen angesehen werden, da sie isoliert von der Kreditkrise seien, schrieb Reuters im Oktober 2007, mitten in der Banken- und Finanzkrise.

Doch der Ökonom und ehemalige Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis, bezeichnete den Verkauf von Wasser an der Börse als Grenzübertretung und Gefahr:

"Wenn der zukünftige Zugang zu 3,26 ml Gallonen Wasser zu einem Derivat wird, das an der Wall Street gehandelt wird, weiß man, dass der Kapitalismus eine Grenze überschritten hat: Ein System, das immer Krisen & Ungleichheit erzeugt hat, ist zu einer klaren & präsenten Gefahr für Mensch & Planet geworden."

Während Hedgefonds, Investmentbanken, Versicherungen und jene, die es sich leisten konnten, seit Jahren ihr großes "Stück vom Kuchen" sichern, ist aus Erfahrung hinreichend bekannt, dass die Privatisierung lebenswichtiger Güter für die Großteile der Menschen drastische Probleme mit sich bringt.

So wurde in Bolivien, wo auf Druck der Weltbank und des IWF Wasserversorgung und Abwasserentsorgung privatisiert und teilweise an multinationale und französische Konzerne verkauft wurden, sogar das Sammeln von Regenwasser für normale Bürger zu einer Straftat. Auch in Oregon musste ein Mann Berichten zufolge ins Gefängnis, nachdem er aus Teichen auf seinem Privatgrundstück Wasser entnommen hatte. In Südafrika starb ein junger Student auf mysteriöse Weise, kurz nachdem er eine von ihm erfundene Wasseraufbereitungsmethode vorgestellt hatte, die nach seinem Tod von einem anderen Erfinder präsentiert worden sein soll.

Der Handel mit Getreide und die unter anderem durch die Weltbank vorangetriebene Privatisierung hat massives Landgrabbing, praktisch die Übernahme von Millionen Hektar  Landwirtschaftsflächen von ländlichen Gemeinden und Kleinbauern auf der ganzen Welt, nach sich gezogen, was wiederum Konflikte und Flüchtlingsbewegungen auslöste.

Doch in der Selbstbeschreibung der neuen "Wasserbarone" lautet es beispielsweise so:

"Goldman Sachs setzt sich seit Langem für Umweltprojekte ein. Im Jahr 2005 etablierte das Unternehmen sein Environmental Policy Framework. (...) Dieses (...) trägt dazu bei, (...) die Märkte zu nutzen, um kritische Umweltprobleme anzugehen – einschließlich der Wasserinfrastruktur. Goldman Sachs nutzt sein Markt-Know-how, um privates Kapital für dringend benötigte Investitionen in die Wasserinfrastruktur zu mobilisieren."

Die Investmentbanker wie auch Versicherungen und andere Wasserhorter sehen also nicht ihre Herangehensweise als Problem, sondern formulieren es als Teil der Lösung. Womöglich sollten die Kinder, die tagtäglich viele Kilometer laufen, um Trinkwasser zu besorgen, auf Marktunternehmen wie die CME Group hören, die meint, die Finanzprodukte würden den Wassernutzern helfen, "Risiken zu managen und Angebot und Nachfrage besser aufeinander abzustimmen".

Bereits jetzt töte die Luft- und Wasserverschmutzung neun Millionen Menschen pro Jahr, und damit mehr als sechsmal so viele wie die derzeitige COVID-19-Pandemie, erklärte UN-Chef António Guterres Anfang des Monats. Möglicherweise lässt sich ja auch aus brauchbarer Atemluft einmal Kapital schlagen.

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