Meinung

Impfpflicht-Varianten-Bingo: Drei Mythen der Befürworter

Ab 18, 50 oder 60 Jahren? Pflichtberatung oder nicht? Vor der am 7. April angesetzten Abstimmung über die Impfpflicht-Varianten in Deutschland ringen die Hardliner im Bundestag um einen Kompromiss. Doch ihre Begründungen sind alles andere als evidenzbasiert.
Impfpflicht-Varianten-Bingo: Drei Mythen der BefürworterQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Piero Nigro / aal.photo/www.imago-images.de

von Susan Bonath

Reihenweise liegen "vollständig Immunisierte" mit Corona flach, auf den COVID-Intensivstationen ist der Anteil der Geboosterten inzwischen fast doppelt so hoch wie jener der Ungeimpften, und sogar die öffentlich-rechtlichen Medien haben das Thema Impfschäden nach über einem Jahr für sich entdeckt. Das bringt die Hardliner im Bundestag nicht von ihrem Glauben ab: Irgendeine Impfpflicht soll beschlossen werden, und wenn schon nicht für alle Erwachsenen, dann wenigstens ab 50, ab 60 oder eben vorsorglich für den Herbst. Die Streitereien darüber basieren zunehmend auf Mythen statt Evidenz.

Impfpflicht-Bingo: Wer will was?

Kurz vor der Abstimmung am 7. April laufen sich die Pflichtbefürworter noch einmal richtig heiß. Der Antrag der Gruppe "Allgemeine Impfpflicht ab 18" fand zwar rund 230 Unterstützer, vor allem bei den Grünen und in der SPD, ist aber nicht mehrheitsfähig. Diese Gruppe einigte sich nun mit einer weiteren Ampel-Gruppe, die alle über 50-Jährigen zur Spritze und die Jüngeren zur Beratung verpflichten will. Der Kompromiss: Die untere Altersgrenze für den Eingriff solle auf 50 Jahre heraufgesetzt werden.

Die Union lehnte das ab. So handelten beide Gruppen schließlich die Altersgrenze auf 60 Jahre herauf – ebenfalls erfolglos. Denn CDU und CSU wollen ein "Impfvorsorgegesetz": Mit einem (noch zu erstellenden) Register soll die Pflichtmaßnahme je nach Pandemie-Zahlen stufenweise "scharf" gestellt werden können. Dass die positiven Testzahlen im Herbst wieder steigen werden, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Neben den beiden Pro-Impfpflicht-Gesetzentwürfen, teils mit Beratungspflicht, und dem CDU-"Vorsorge"-Ansinnen liegen auch zwei Anträge gegen eine Pflicht vor. Eine fraktionsübergreifende Gruppe um Wolfgang Kubicki (FDP) will einen Zwang vermeiden, dafür aber, etwa durch Beratung, "die Impfbereitschaft steigern". Der AfD-Antrag richtet sich gegen jeden Vorstoß einer staatlich verordneten Vakzin-Behandlung.

Der Mythos vom Fremdschutz

Evidenz lassen die Debatten und Begründungen der Impfpflicht-Befürworter zunehmend vermissen. Noch immer suggerieren sie zum Beispiel einen Fremdschutz. Man will mittels Durchimpfung aller die "vulnerablen Gruppen" vor einer Ansteckung durch Übertragung bewahren. Allein bereits die (unvollständigen) Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) entlarven dieses Argument seit Monaten als Mythos.

In seinem letzten Wochenbericht erfasste das RKI (S. 29) einen Teil der "symptomatischen COVID-19-Fälle" für verschiedene Altersgruppen inklusive Impfstatus für den Zeitraum Ende Februar bis Ende März. Von den über 60-jährigen Betroffenen waren danach lediglich rund 19 Prozent nicht oder nur teilweise geimpft. Bundesweit lag ihr Anteil in dieser Gruppe Ende Februar bei gut elf Prozent. Und: Fast 70 Prozent der über 60-jährigen Kranken waren sogar geboostert, hatten also mindestens drei Spritzen erhalten, in der Gesamtbevölkerung waren dies rund 77 Prozent.

Ähnlich sieht es bei den jüngeren Erwachsenen aus. Unter den 18- bis 59-jährigen Erkrankten verzeichnete das RKI rund 20 Prozent nicht oder unvollständig Geimpfte, in der Gesamtbevölkerung waren dies 17 Prozent. Auch mehr als 57 Prozent geboosterte jüngere Erwachsene hatten sich infiziert; die Gesamt-Boosterquote lag bundesweit Ende Februar hier bei 59 Prozent.

Die Abweichungen zwischen den Impfquoten in der erkrankten und der Allgemeinbevölkerung waren demnach im gesamten Monat März nur marginal. Hinzu kommt, dass das RKI in diesem Zeitraum nur knapp sechs Prozent der insgesamt ermittelten Corona-Fälle erfasst hatte, nämlich rund 379.000 von fast 6,5 Millionen Meldefällen. Fraglich ist, wie repräsentativ dieser winzige Ausschnitt überhaupt sein kann. Wissenschaftlich unstrittig dürfte jedenfalls sein, dass Corona-Patienten mit Symptomen, unabhängig von der Schwere und ihrem Impfstatus, andere Menschen anstecken können.

Mythos vom Vollschutz vor schweren Verläufen

Ein nennenswerter Fremdschutz durch eine Corona-Impfung ist damit laut Bundesinstitut, auf das sich die Politik beständig beruft, ausgeschlossen. Nun kommt der Eigenschutz ins Spiel. Ein Argument der Pflicht-Befürworter lautet bekanntlich: Die Impfung verhindere schwere Verläufe, reduziere somit die Intensivbetten-Belegung und schütze das Gesundheitswesen vor Überlastung. Doch was ist wirklich dran?

Ein Blick in den letzten Tagesreport des DIVI-Intensivregisters zeigt Folgendes: Am 5. April lagen auf den COVID-Intensivstationen insgesamt 2.160 Patienten, von denen 830 beatmet wurden. In der gesamten Omikron-Welle waren es zu keinem Zeitpunkt mehr als 2.500 Patienten mit positivem Test. Insgesamt meldete die DIVI mit 18.701 erwachsenen und 1.929 minderjährigen Patienten eine eher unterdurchschnittliche Belegung der Intensivstationen.

Hinzu kommt, dass nach wie vor nicht unterschieden wird, ob die Patienten tatsächlich wegen COVID-19 behandelt werden oder nur zufällig positiv getestet wurden. In den letzten Wochen mehrten sich Berichte aus Kliniken, wonach bei bis zu 90 Prozent der Patienten Corona nur ein Zufallsbefund war und sie wegen anderer Erkrankungen in der Klinik lagen, so unter anderem in Hessen.

Nun stellt sich die Frage: Wie viele Corona-Patienten waren ungeimpft? Dies geht aus dem RKI-Bericht hervor. Auf Seite 20 listet das Institut die DIVI-Zahlen zum Impfstatus von gut drei Vierteln der gesamten positiv getesteten Intensivpatienten (5.455) für den Zeitraum 28. Februar bis 27. März auf.

Ergebnis: Lediglich ein Viertel (25,2 Prozent) war ungeimpft, 8,2 weitere Prozent hatten einen unvollständigen Impfschutz und 66,6 Prozent, also zwei Drittel, waren laut DIVI "vollständig immunisiert". Die Zahl der geboosterten Corona-Intensivpatienten lag im März mit knapp 44 Prozent sogar fast doppelt so hoch wie die der ungeimpften Patienten.

Da diese Zahlen etwas deutlicher vom Impfschutz in der Gesamtbevölkerung abweichen, ist wohl ein gewisser Eigenschutz vorhanden. Allerdings bleibt dabei vieles unberücksichtigt: Die niedrige Gesamtzahl an Corona-Patienten trotz so höchster Inzidenzen, die Nichtunterscheidung zwischen wegen oder nur mit Corona Behandelten und die somit unbekannte Anzahl tatsächlicher schwerer COVID-19-Fälle. Eins ist damit auf jeden Fall belegt: Den totalen Schutz vor einer schweren Erkrankung bietet die Impfung definitiv nicht. Und wie lange sie überhaupt schützt, kann noch nicht einmal das RKI beziffern.

Mythos von einer nebenwirkungsfreien Impfung

Das Risiko für schwere Impfkomplikationen birgt die Behandlung mit COVID-19-Vakzinen dagegen sehr wohl – trotz aller gegenteiliger Bekundungen von Politik und Medien. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bezeichnete die Impfung letztes Jahr sogar als "nebenwirkungsfrei".

Dass dem nicht so ist, ist nach über einem Jahr sogar im öffentlich-rechtlichen Rundfunk angekommen. Ende März berichtete das ARD-Magazin Plusminus über teils sehr junge Impfgeschädigte, die vermutlich kaum schwer am Coronavirus erkrankt wären. Sie beklagten einhellig, dass Ärzte sie nicht ernst nähmen, ihre Komplikationen teilweise nicht einmal meldeten und sie viele Diagnosen und Behandlungen sogar selbst bezahlen mussten. Unter dem Bericht finden sich 69 Seiten mit Kommentaren, in denen Leser über ähnliche Probleme klagen.

Der Charité-Epidemiologe Harald Matthes berichtete zudem, er habe mit anderen Experten Geimpfte überwacht und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass wohl rund 70 Prozent der schweren Impfschäden nicht vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erfasst wurden. Darüber berichtete auch der Focus.

Das PEI hinkt indes bereits Monate mit der Erfassung von gemeldeten Verdachtsfällen hinterher. Seinen letzten Sicherheitsbericht veröffentlichte es im Februar. Dieser enthält Meldefälle bis Jahresende 2021. Der Termin für die nächste Veröffentlichung bis einschließlich Ende März stehe noch nicht fest, informiert es dazu auf seiner Seite.

In dem Bericht gibt das PEI, versteckt im Fließtext, knapp 245.000 gemeldete Verdachtsfälle insgesamt an, von denen es rund 30.000 als schwerwiegend einstufte. Darunter waren auch 2.255 Todesfälle, 85 davon stufte das PEI als "möglicherweise oder wahrscheinlich" durch die Impfung ausgelöst ein. Diese Zahl beruht aber nicht auf klinischen Untersuchungen, sondern auf einer statistischen Schätzung.

Legt man die Charité-Studie zugrunde, wonach wahrscheinlich etwa 70 Prozent der schwerwiegenden Impfschäden nicht erfasst wurden, müsste von bis zu 100.000 Fällen bis Jahresende ausgegangen werden. Bei Ende Dezember knapp 62 Millionen einmal, zweimal oder drei Geimpften in Deutschland könnte damit eine schwere Nebenwirkung auf 620 geimpfte Personen kommen. Das ist weit häufiger als nur "sehr selten".

"Teufelsaustreibung" mit dem "Belzebub"

Fazit: Offizielle Quellen, an denen sich die Politik angeblich orientiert, widersprechen fast sämtlichen Behauptungen der Impfpflicht-Befürworter ganz oder zumindest teilweise. Ein nennenswerter Fremdschutz kann ausgeschlossen werden. Ein Schutz vor schweren Verläufen besteht, wenn überhaupt, dann nur bedingt und unter weitgehend unbekannten Umständen. Und ganz offensichtlich gibt es eine große Dunkelziffer nicht erfasster schwerer Nebenwirkungen.

Hinzu kommt, dass die Impfstoffe bis heute keine vollständige Zulassung erhalten haben. Denn noch immer fehlen offenbar wichtige Sicherheitsstudien der Pharmakonzerne. Auch umfassende, unabhängige und repräsentative Studien sucht man bisher in Deutschland vergeblich. Es existiert also bei jeder Impfung ein nicht konkret bezifferbares Risiko für schwere Schäden, bis hin zum Tod.

Es ist noch nicht einmal bekannt, ob das Risiko für Impfschäden jenes für schwere COVID-19-Verläufe angesichts der milderen Omikron-Variante übersteigt. Mindestens in jüngeren Altersgruppen ist das sogar sehr wahrscheinlich. Laut RKI-Wochenbericht wurden im März etwa 0,4 Prozent der symptomatisch erkrankten über 60-Jährigen auf einer Intensivstation behandelt, einer von 250. Bei den 18- bis 59-Jährigen war es einer von 10.000 Erkrankten. Das Risiko eines schwerwiegenden Impfschadens könnte bei ihnen damit bis zu 16 mal höher liegen, als eine Intensivbehandlung wegen COVID-19.

Trotzdem will die "Fraktion Impfpflicht" den "Teufel Corona" mit dem "Belzebub Impfung" austreiben. Dabei sind bei den über 60-Jährigen laut RKI gerade noch elf Prozent ungeimpft, bei allen über 18-Jährigen sind es demnach 14 Prozent. Wobei ohnehin feststeht, dass sich Corona auch dann nicht vollständig vertreiben ließe, wenn alle geimpft wären. Das haben Länder mit Impfquoten von über 90 Prozent, wie etwa Portugal, in diesem Winter mit Inzidenzen bis fast 4.000 eindeutig beweisen. Mit dem deutschen Grundgesetz wäre eine solche Impfpflicht kaum vereinbar.

Mehr zum Thema - Karl Lauterbach – Narzisst mit Narrenfreiheit?

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.