Meinung

Vom Ende der westlichen Dominanz – Putins Petersburger Rede

Putin hat in Sankt Petersburg eine wichtige Rede gehalten. In ihr kündigt er das Ende der westlichen Vormachtstellung an und wirbt für eine globale Zusammenarbeit auf Augenhöhe unter Beachtung nationaler Souveränität und verbindlicher völkerrechtlicher Regeln.
Vom Ende der westlichen Dominanz – Putins Petersburger Rede© Maksim Konstantinov/Global Look Press

von Gert Ewen Ungar

Vom 15. bis zum 18. Juni fand in Sankt Petersburg das Internationale Wirtschaftsforum statt. Es war gleich in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Zum einen feierte das Forum sein 25-jähriges Jubiläum. Das Interesse war auch in diesem Jahr groß. Ungeachtet der angespannten geopolitischen Lage kamen insgesamt 14.000 Teilnehmer aus 130 Ländern. Es wurden Verträge im Wert von umgerechnet 100 Milliarden Dollar abgeschlossen. 

Zum anderen war für den 17. Juni der Auftritt Putins angekündigt. Schon im Vorfeld wies der Pressesprecher des Kreml Dmitri Peskow auf die Bedeutung der Rede Putins hin. Und tatsächlich hatte sie es in sich. Putin verkündet nicht weniger als eine neue ökonomische und geopolitische Ordnung, in der der Westen in seiner Bedeutung absteigt. 

Putin lädt die Länder außerhalb des Westens zur Zusammenarbeit ein. Er verweist dabei zurecht auf die Unzuverlässigkeit der westlichen Staaten und die Willkür ihrer "regelbasierten Ordnung". Der Westen schreckt nicht vor der Politisierung seiner Währungen und seiner Ökonomien zurück und benutzt sie zur Durchsetzung neokolonialer geopolitischer Interessen. Mit diesen Maßnahmen, dem Abschneiden Russlands vom SWIFT-System und dem Einfrieren der russischen Devisenreserven beispielsweise, hat sich der Westen selbst das Rückgrat gebrochen. Denn damit wurde klar, es können gegen jedes Land, das sich der westlichen Dominanz widersetzt, willkürlich Sanktionen verhängt werden, die direkt die Zentralbank und damit direkt die Wirtschaft des jeweiligen Landes treffen. Mit diesen Maßnahmen hat der Westen sein Sanktionsregime überdehnt. Es ist zudem weder durch die UNO legitimiert, noch sind die Kriterien klar, nach denen auf diese Form der Sanktion zurückgegriffen wird. Es ist offensichtlich, diese Form westlicher Willkür kann jede Nation treffen, die eine souveräne, eigenständige Politik verfolgt. 

Auch ist richtig, dass sich der Westen laut Putin bei der Verhängung seiner Sanktionen ausgesprochen dumm anstellt. Westliche Länder, insbesondere die Länder der EU, schaden sich aktuell selbst wesentlich stärker und umfassender als Russland. 

Die Willkür des westlichen Regimes verweist aber auch auf die Notwendigkeit, dass wirtschaftliche, politische und technologische Souveränität für Russland von zentraler Bedeutung sind. Der russische Präsident rät auch anderen Ländern, diese angesichts der westlichen Aggression erweiterten Grundsätze nationaler Souveränität für sich zu prüfen und zu beachten. Gleichzeitig bescheinigt er den Ländern der EU die Preisgabe nationaler Souveränität zuungunsten ihrer Bürger. 

Die Auswirkungen der Sanktionen bringen es an den Tag: Der Westen hat die wirtschaftliche Bedeutung Russlands unter-, die eigene maßlos überschätzt. Als zentraler Indikator zur Einschätzung seines eigenen Potenzials diente das Nationaleinkommen, das BIP. Das hatte der Westen im Blick und fühlte sich angesichts dieser Ziffer Russland überlegen. Nur so konnte es zu der fundamentalen Fehleinschätzung kommen, der auch die deutsche Außenministerin anheim fiel, als sie meinte, man könne "Russland ruinieren". Offenkundig fehlte jede weitere Differenzierung. 

Blickt man aufs BIP, unterschätzt man die Bedeutung der russischen Wirtschaft für die Welt. Russland produziert Energie, Vorprodukte und ist rohstoffreich. Zwar ist das BIP Russlands mit dem Spaniens vergleichbar, allerdings sind die Produkte, die sich hinter diesem BIP verbergen, von für die Weltwirtschaft entscheidender Bedeutung. Die von Russland geförderten Rohstoffe und Energieträger sowie russische Vorprodukte sind für die Weltwirtschaft wichtiger als die Produktion von High-End-Produkten und ein aufgeblähter Finanzsektor, der wirtschaftlich ohnehin eher destruktiven Charakter hat. 

Die Weltwirtschaft, das zeigt sich in diesen Tagen deutlich, funktioniert ohne Russland nicht. Ohne Deutschland dagegen schon. Russland steht mit seinen Produkten am Beginn der Wertschöpfungskette, während die deutsche Industrie an deren Ende steht. Der Westen hat sich fundamental verkalkuliert. 

Die russische Reaktion auf die vom Westen ausgelöste Wirtschaftskrise sind umfangreiche staatliche Investitionen in die eigene Realwirtschaft, Förderprogramme für den Mittelstand, Sozialprogramme für Familien, die Förderung des Wohnungsbaus durch die Vergabe von günstigen Krediten, um nur einige wenige Punkte aus dem umfangreichen Maßnahmenkatalog zu nennen, den Putin in Sankt Petersburg vorgestellt hat.

Das erklärte Ziel ist dem deutschen ähnlich. Russlands Ziel ist die Abkopplung seiner Wirtschaft von westlicher Abhängigkeit, ebenso wie es das Ziel der deutschen und der Wirtschaft der EU ist, künftig unabhängig von russischer Energie zu werden. 

Die Frage ist natürlich, wer hier größere und vor allem schnellere Aussicht auf Erfolg hat. In dieser Hinsicht sieht es für Deutschland und die EU schlecht aus.
Die Ströme von Öl, Gas und Rohstoffen lassen sich schneller und vor allem weniger kostenintensiv umleiten, als sich eine neue Art klimaneutralen Wirtschaftens aufbauen lässt. Erschwerend für die westliche Position kommt hinzu, dass die Solidarität der Welt nicht aufseiten des Westens verortet ist. Die westlichen Bestrebungen, Russland zu isolieren und durch die Sanktionen zu ruinieren, verlaufen im Sande. Gerade mal ein Viertel aller Länder der Welt trägt die Sanktionen gegen Russland mit. Auf dem kürzlich abgehaltenen Gipfel der BRICS-Staaten wird zudem deutlich, dass von einer Isolation Russlands nicht nur keine Rede sein kann, sondern dass es umgekehrt der Westen ist, der zunehmend in die Isolation gerät. Zuletzt wurden aus Indien konkrete Forderungen laut, den Westen in seiner hegemonialen Stellung abzulösen. Dass es diese Bestrebungen gibt, ist zwar offenkundig, aber ausgesprochen wurde es bisher selten. Man sollte sich im Westen an derartige Forderungen gewöhnen, denn sie werden absehbar lauter und zahlreicher: Macht endlich Schluss mit der westlichen Dominanz.

Zurück nach Petersburg. Die Antwort Russlands auf die westlichen Sanktionen ist einerseits die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der westlichen Hemisphäre. Die Antwort ist andererseits das Auslösen eines Gründerzeit-Booms in Russland verbunden mit massiven Investitionen zur Sicherung und Erhöhung des heimischen Standards. Von einer derart umfassend weitsichtigen Politik, die die Interessen der eigenen Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt, sind Deutschland und die EU himmelweit entfernt. Dort arbeiten die Regierungen gegen die Interessen der eigenen Bürger, bereiten sie lediglich medial auf umfassende Entbehrung vor. Sie raten, weniger zu duschen und die Heizung runterzudrehen, lassen die Bürger ansonsten aber mit den Problemen allein, die sich aus dem westlichen Sanktionsregime ergeben.

Der Westen setzt wirtschaftlich vor allem auf Dienstleistungen und einen entfesselten Finanzmarkt unter Führung einiger weniger großer Finanzkonzerne wie BlackRock, die inzwischen über eine Macht verfügen, die es ihnen ermöglicht, staatliche Souveränität zu untergraben. Putin macht dagegen deutlich, dass Investitionen in die Realwirtschaft Vorrang haben. Ein diametral entgegengesetztes Konzept. Putin bietet Russland zudem den kooperierenden Nationen gleichzeitig als Absatzmarkt an und versucht so die Probleme zu bekämpfen, die aus einem immer weiter steigenden Rubel resultieren.

Insgesamt läuft der vom Westen angezettelte Stellvertreterkrieg auf drei Ebenen, und auf allen dreien läuft es nicht gut. Militärisch in der Ukraine, wirtschaftlich weltweit und der Informationskrieg tobt vor allem im Internet und den westlichen Medien. Der Westen verliert den Krieg zunächst militärisch in der Ukraine. Er verliert ihn wirtschaftlich, denn es ist inzwischen deutlich geworden, dass die Rückwirkung der Sanktionen umfassend sind und die sanktionierenden Länder stärker schädigen als das beispiellos hart sanktionierte Russland. Inzwischen verliert der Westen auch im Bereich des Informationskriegs immer weiter an Boden. 

Die westlichen Umdeutungen, es sei Putin, der die globale Wirtschaft schädigt und Hunger als Waffe benutzt, funktioniert nicht. Selbst den Bürgern in der westlichen Hemisphäre ist klar, es sind die westlichen Sanktionen, die die hiesigen Volkswirtschaften schädigen. Es ist ganz klar die eigene, hausgemachte Politik, die zur Preisexplosion und zu Mangel führt. Die ohnehin schon schädlichen Auswirkungen der Sanktionen werden zudem von Finanzspekulation verstärkt. Darüber wird kaum gesprochen. Aber die aktuellen Preise für Weizen beispielsweise lassen sich nur zu einem kleinen Teil mit den Krieg in der Ukraine und den Exportbeschränkungen erklären. Es gibt aktuell faktisch nur eine sehr geringe Unterversorgung des Marktes. Aber die Unsicherheiten haben unmittelbar Spekulanten auf den Plan gerufen, die hier eine Chance auf exorbitante Gewinne wittern. Gegen diese Umtriebe aber wird weder Deutschland noch die EU vorgehen. Zu eng sind die Verflechtungen zwischen Politik und Finanzindustrie. Man verunglimpft lieber Russland, anstatt nach wirksamen Lösungen zu suchen. Das ist bequemer. 

Außerhalb der westlichen Welt verfängt das westliche Narrativ ohnehin kaum. Denn der Ukraine-Konflikt ist nur einer unter ganz vielen. Aktuell gibt es zahlreiche militärische Konflikte weltweit. Ganz ähnlich wie Russland versucht gerade das NATO-Mitgliedsland Türkei, in Syrien einen Sicherheitskorridor zu etablieren, aus dem die kurdischen Kräfte zurückgedrängt werden. Die Türkei annektiert aktuell einen Teil Syriens. Weder sind hier Sanktionen gegen die Türkei angedacht, noch denkt der Westen über umfassende Waffenlieferungen an die Kurden nach. Das, was die Türkei in Syrien unternimmt, findet die Duldung des Westens, obwohl es analog zur Operation Russlands in der Ukraine ist. Der Unterschied ist lediglich, dass die Bewohner des Donbass und der befreiten Städte die Operation Russlands in weiten Teilen begrüßen, die Kurden die türkische Intervention dagegen nicht. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr der Westen mit zweierlei Maß misst und daher als echter Kompass ausfällt. 

Fazit der Rede Putins ist: Die Welt ordnet sich neu. Die Globalisierung ist zwar nicht zu Ende, aber sie findet künftig unter Umgehung westlicher Dominanz statt. Sie ist insgesamt nichts weniger als die Ankündigung des Endes der Globalisierung unter westlicher Vorherrschaft. Der Westen hat sich mit seiner aggressiven, auf Vormachtstellung und Dominanz ausgerichteten Politik die Tür zur weltweiten Kooperation und Zusammenarbeit selbst zugeschlagen. 

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