Meinung

Immer ärmer trotz Arbeit – Reallöhne sinken weiter

Die Löhne in Deutschland verlieren zunehmend an Kaufkraft. Der seit drei Jahren anhaltende Abwärtstrend setzte sich zu Jahresbeginn fort, wie das Statistische Bundesamt meldet. Besonders hart trifft es Alleinerziehende und ihre Kinder: Bei ihnen ist die Armutsquote am höchsten.
Immer ärmer trotz Arbeit – Reallöhne sinken weiterQuelle: AFP © John MACDOUGALL/AFP

Von Susan Bonath

Deutschlands Arbeiterklasse verarmt. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag meldete, sind die Reallöhne im ersten Quartal dieses Jahres erneut signifikant gesunken. Das bedeutet: Die Einkommen der Lohnabhängigen verlieren im Zuge der anhaltenden Preisexplosion, vor allem bei Grundbedarfen wie Lebensmitteln und Energie, zusehends an Kaufkraft. Die Betroffenen können sich immer weniger leisten. Die Abwärtsspirale hält schon seit drei Jahren an.

Sinkende Kaufkraft

So meldete die deutsche Statistikbehörde für die ersten drei Monate dieses Jahres einen Reallohnverlust im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum um 2,3 Prozent. In den beiden Quartalen davor war die Kaufkraft der Einkommen sogar um jeweils 5,4 Prozent gesunken, im ersten Halbjahr 2022 um 0,9 und 4,2 Prozent. Das Amt stellt dazu fest:

"Ein Trend aus dem Jahr 2022 setzt sich somit fort: Die hohe Inflation zehrt das Lohnwachstum für die Beschäftigten auch zum Jahresbeginn 2023 mehr als auf."

Tatsächlich sind die Nominallöhne laut dieser Darstellung gestiegen, und zwar im Vorjahresvergleich zuletzt sogar um mehr als fünf Prozent. Die Verbraucherpreise schlugen danach allerdings mit einem Plus von mehr als acht Prozent zu Buche. Dies verkehrt den Einkommenszuwachs in sein Gegenteil.

Allerdings verdienten nicht alle Beschäftigten nominal mehr Geld. Das Statistikamt führt hier vorneweg die sogenannten Minijobber an, für die Unternehmen keine Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zahlen müssen. Denn die Verdienstgrenze für die geringfügigen Stellen wurde im Oktober letzten Jahres von 450 auf 520 Euro angehoben. Für die Unternehmen ist das gut, sie sparen sich durch die Beschäftigung von Minijobbern viel Geld. Ein weiterer Grund dürfte die Erhöhung des Mindestlohns von 10,45 auf 12 Euro im vergangenen Oktober sein.

Abwärtstrend seit 2020

Außerdem führte das Statistische Bundesamt die sogenannte Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3.000 Euro an. Diese habe den Kaufkraftverlust einiger Beschäftigter etwas abgefedert, was sich im Gesamtbild widerspiegele. Dies ist jedoch eine freiwillige Leistung, die bislang nur wenige Unternehmen ihren Arbeitskräften gewährt haben. Die Statistiker unterteilen aber nicht konkret in Gruppen, die besonders hohe oder niedrige Verluste erlitten haben. Ebenso unterscheiden sie nicht zwischen Reich und Arm.

Der Abwärtstrend hatte sich erstmals im zweiten Vierteljahr 2020 deutlich bemerkbar gemacht. Damals, zur Zeit des ersten Lockdowns, war die Zahl der Beschäftigten in Kurzarbeit auf ein Rekordhoch von bis zu über sechs Millionen geklettert. Der Reallohnindex war zugleich um fünf Prozent eingebrochen. Danach ging es mehr runter als rauf. Im ersten Corona-Jahr sank demnach die Kaufkraft der Beschäftigten insgesamt um 1,1 Prozent gegenüber 2019. Im Jahr darauf lag das Minus laut Behörde bei 0,1 Prozent und 2022 bei vier Prozent.

Steigende Kinderarmut

Nach wie vor sind Kinder ein Armutsrisiko in Deutschland. Denn wer Nachwuchs erziehen muss, hat schlechtere Chancen im Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt. Das spiegelt sich in einer Analyse des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wider. Dieser schlug vergangene Woche erneut Alarm: Die Kinderarmut sei 2022 auf ein Rekordhoch von mehr als 21 Prozent gestiegen.

Die Erhöhung des Mindestlohns habe lediglich die schlimmsten "pandemiebedingten Verwerfungen" ausgleichen können. "Gleichzeitig hat sich aber für eine große Mehrheit Armutsbetroffener die Lage durch die Inflation weiter verschärft", warnte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Er forderte die Bundesregierung zum wiederholten Mal auf, eine armutsfeste Kindergrundsicherung einzuführen.

Wie kürzlich eine Datenabfrage der Linksfraktion im Bundestag beim Statistischen Bundesamt ergab, waren Alleinerziehende wieder einmal am schlimmsten betroffen. Fast 43 Prozent dieser Familien mit nur einem Elternteil lebten demnach 2022 unterhalb der Armutsgrenze. In keiner anderen Bevölkerungsgruppe ist der Anteil Armer so hoch. "Kinder und Jugendliche sind die Verlierer der Inflation", kritisierte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch. Das Ampel-Projekt Kindergrundsicherung dürfe nicht zur nächsten Chaosnummer werden, betonte er.

Konzerne zocken ab

Anhaltend teuer bleiben vor allem die Produkte, auf die niemand verzichten kann: Nahrung und Energie. Vor allem die Lebensmittel seien auch im April maßgebliche Preistreiber der Inflation gewesen, konstatierten die Statistiker Anfang Mai. Insgesamt sei die zunehmende Teuerung zwar etwas abgeflaut, aber nicht beendet.

Viele Medien, darunter die Tagesschau, klagten jüngst über ungerechtfertigte Preissteigerungen bei Lebensmitteln. Grund sei wohl die Profitgier der Hersteller. Allerdings: Profitgier ist im Kapitalismus natürliches Beiwerk, das man genauso bei den Energie-, Pharma- und Rüstungskonzernen erleben kann. Der monopolisierte Markt kann das nicht richten. Ändern könnte dies nur die Politik. Doch die Kartellgesetze laufen zunehmend ins Leere, Preisabsprachen sind die Regel, nicht die Ausnahme. An das Großkapital traut sich die Regierung allerdings wie immer nicht heran.

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