Meinung

"Die geheime Botschaft der Rothschilds": Russland wird wieder allen Prophezeiungen trotzen

Alle Jahre wieder: The Economist denkt sich eine kryptische Titelseite seines Jahrbuchs aus und Tausende von Verschwörungstheorien versuchen, dort angeblich verschlüsselte Botschaften zu entschlüsseln. Sinnvoller ist es, die Artikel im Jahrbuch zu lesen und sich zu vergegenwärtigen, dass sich die Hoffnungen der Neocons immer seltener erfüllen.
"Die geheime Botschaft der Rothschilds": Russland wird wieder allen Prophezeiungen trotzenQuelle: Gettyimages.ru © Peter Cade

Von Wladimir Kornilow

In letzter Zeit ist es in Mode gekommen, das Jahr mit kollektiver Wahrsagerei zu beenden. Die Titelseite der jährlichen Beilage von The Economist, die jetzt The World Ahead heißt, dient Hobbypropheten dabei als Kaffeesatz und Glaskugel. Gibt man den Begriff "Die geheime Botschaft der Rothschilds" in eine Suchmaschine ein, wird man von einer Vielzahl an Links zu Seiten "erschlagen", die sich in der Entschlüsselung geheimer Botschaften der Herausgeber dieses Jahrbuchs versuchen.

Die Rothschilds werden in diesem Zusammenhang nicht zufällig erwähnt ‒ eine der reichsten Dynastien der Welt hatte schon immer einen direkten Bezug zum Economist. Zwar war Sir Evelyn Rothschild zuletzt 1989 Vorstandsvorsitzender der Verlagsgruppe und ist im vergangenen Jahr verstorben. Aber wer interessiert sich schon für solche Details?!

Wenn jedes Titelbild eines Magazins als verschlüsselte Botschaft von jemandem betrachtet werden soll, dann wäre es logischer, Agnelli als Urheber der Botschaften zu nennen. Seit 2015 ist diese italienische Dynastie, die einst den Autokonzern Fiat gründete, Hauptaktionär der Economist Group und hält mehr als 40 Prozent der Aktien des Unternehmens. Die Rothschilds hingegen halten noch rund 20 Prozent. Aber wer würde sich schon für die "geheime Botschaft von Agnelli" interessieren? Deshalb ist es in weiten Kreisen der Verschwörungstheoretiker üblich, in jedem Jahresbericht nach einer "Botschaft der Rothschilds" zu suchen.

Auf jeden Fall bleibt The Economist das Sprachrohr der liberalen Neokonservativen des Westens. Daher verdienen seine Jahrbücher, die vorgeben, analytisch zu sein, und versuchen, zukünftige Ereignisse vorherzusagen, auf jeden Fall besondere Aufmerksamkeit. Eine wesentliche Bemerkung: Es ist besser, den Inhalt der Artikel zu lesen, als seine Zeit mit der Entschlüsselung der Titelseite zu verschwenden. Fans der Titelseite gehen in der Regel nicht so weit ‒ Verschwörungstheoretiker sind indes Schriftsteller, keine Leser.

Im Internet geht es wieder heiß her, wenn man über die Bilder auf dem Umschlag des neuesten The World Ahead 2024-Jahrbuchs streitet. Das größte Rätsel ist in diesem Jahr, wem die weibliche Silhouette gehört, die neben den Porträts von Putin, Trump, Biden, Selenskij und Xi abgebildet ist. Genannt werden Kamala Harris, Jelena Selenskaja und sogar Julia Timoschenko.

Dabei wird im Leitartikel des Jahrbuchs erklärt, wer auf dem Titelbild abgebildet ist, und im Innenteil der Ausgabe findet man die geheimnisvolle Silhouette ein zweites Mal ‒ in dem Artikel über die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Mexiko, wo wahrscheinlich zum ersten Mal eine Frau das höchste Amt erobern wird. Das weibliche Profil auf der Titelseite gehört natürlich der Hauptfavoritin im mexikanischen Wahlkampf, Claudia Sheinbaum. "Langweilig!" wird ein Online-Jäger der "Geheimbotschaften der Rothschilds" enttäuscht sagen.

Tatsächlich wäre es ein Fehler, die Bedeutung der Vorhersagen des ideologischen Sprachrohrs der Neocons zu übertreiben. Gerade wegen seiner ideologischen Verblendung sind seine Prognosen genauso leicht vorhersehbar wie fehleranfällig. Sie gehen nur selten in Erfüllung. Auf der Titelseite von The World Ahead 2022 sind nur Biden und Xi zu sehen, aber kein Hinweis auf ein militärisches Eingreifen Russlands in der Ukraine. Und die letztjährige Ausgabe sagt "das Ende der Ära Erdoğan" in der Türkei voraus, nicht aber den Beginn eines Krieges im Nahen Osten.

Wenn wir über die Vorhersagen der Economist-Macher im Hinblick auf Russland sprechen, sind sie meist Ausdruck der uralten Hoffnungen des westlichen liberalen Establishments auf eine Schwächung, Spaltung und Niederlage Russlands. Vergangenes Jahr klang es zum Beispiel so:

"Russland droht unregierbar zu werden und ins Chaos zu stürzen. [...] Putins Krieg verwandelt Russland in einen gescheiterten Staat mit unkontrollierbaren Grenzen, privaten militärischen Formationen, einer fliehenden Bevölkerung, moralischem Verfall und der Möglichkeit eines Bürgerkriegs."

Und wie steht es um die Vorhersage für 2023? Erst neulich veröffentlichte das Wall Street Journal einen Artikel mit einer für westliche Liberale traurigen Botschaft:

"Es ist an der Zeit, nicht länger von Russlands Niederlage zu träumen. Putin hat allen westlichen Versuchen widerstanden, seine Invasion in der Ukraine abzuwehren, und seine Macht ist gefestigt. Putin kann der Nation sagen, dass seine Strategie funktioniert."

Mit anderen Worten, bei der "Rothschild-Prognose" ist eindeutig etwas schiefgelaufen.

Das diesjährige Jahrbuch von The Economist setzt wieder, wenn auch zaghafter als früher und mit Vorbehalten, auf dieselbe Hoffnung:

"Optimisten argumentieren, dass der Krieg Russlands politischen Verfall beschleunigen wird."

Dennoch hat Russland, wie wir alle wissen, nicht die Absicht, seine geostrategischen Gegner im nächsten Jahr oder in den kommenden Jahrzehnten zufriedenzustellen.

Die größte Phobie der Herausgeber des liberalen Magazins hat aber natürlich nichts mit Russland zu tun. Die Angst vor einem möglichen Sieg Donald Trumps bei den Wahlen 2024 in den Vereinigten Staaten zieht sich dieses Jahr durch alle Veröffentlichungen des Almanachs, einschließlich der Artikel über die Lage an der ukrainischen Front. Man muss kein großer Verschwörungstheoretiker sein, um die Angst vor Trump zu sehen, sie zu spüren und zu verstehen, wie sehr sie die Informationskampagne der nächsten zwölf Monate bestimmen wird.

Wagen wir auch eine Prophezeiung: Die westlichen Neocons werden es im kommenden Jahr schwer haben. Und Russland hat damit nichts zu tun.

Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist am 20.11.2023 auf ria.ru erschienen. 

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