Meinung

Bauernproteste: Es geht um BlackRocks Griff nach dem Brot

Es sind nicht nur die jüngsten Kürzungen, die den Unmut der Landwirte hervorriefen. Es ist eher die lange aufgestaute Wut gegen eine Politik, die das gesamte Lebensmodell infrage stellt. Aber Protest ist inzwischen in Deutschland nicht mehr vorgesehen.
Bauernproteste: Es geht um BlackRocks Griff nach dem BrotQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Ulmer

Von Dagmar Henn

Nachdem die Bauernproteste vermutlich nicht in den nächsten Tagen enden werden, kann man jetzt die zweite Etappe der Gegenpropaganda finden. Die erste lautete, wie zu erwarten: alles Nazis. Nachdem aber diese Behauptung längst nicht mehr so wirkungsvoll ist wie noch vor ein paar Jahren (mit dem jüngsten Schauspiel "Wir basteln uns eine Wannseekonferenz" ist sie fast am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen), wird nun das Lied von den vielen, vielen Subventionen gesungen, die vermeintlich die Bauern so reich machen, dass sie eigentlich gar nicht protestieren dürften.

Ein schönes Beispiel dafür lieferte die Frankfurter Rundschau (FR):

"Doch laut Ökonomen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln bekommen die Landwirte bereits jetzt sehr viel Geld vom Steuerzahler. (…) So wurden 2022 insgesamt 6,9 Milliarden Euro aus Brüssel an die rund 270.000 Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland ausgeschüttet."

Nicht nur die FR dekoriert ihren Text mit einer Grafik vom Institut der deutschen Wirtschaft  (IW), die farblich unterschieden sichtbar macht, wie viel an Subventionen in welchen Landkreis in Deutschland gehen. Ein hübsches buntes Bild, das einen Informationsgehalt vortäuscht, der nicht vorhanden ist.

Aber ehe man sich mit der Frage beschäftigt, ob diese Vorhaltungen überhaupt eine Grundlage haben, sollte man einen entscheidenden Punkt ins Spiel bringen, der sowohl theoretisch als auch praktisch in der Landwirtschaftspolitik keine Rolle mehr spielt. Die Ernährung der eigenen Bevölkerung zu sichern, ist eine der grundlegenden Aufgaben, die eine Regierung hat. Jede Überlegung, ob und wie öffentliche Gelder für diesen Wirtschaftssektor aufgewandt werden, muss dies mit im Blick haben. Eine rein betriebswirtschaftliche Sicht auf diesen Sektor verleugnet die Tatsache, dass für die Gesellschaft eine Landwirtschaft, die Gewinne macht, aber nicht die nötige Nahrung liefert, absolut nutzlos ist.

Weder die Landwirtschaftspolitik der EU noch diejenige der diversen Bundesregierungen folgten diesen Prioritäten. Das ist das Einzige, was man dem bunten Bildchen des IW entnehmen kann: die Subventionen sind dort besonders hoch, wo die Betriebe meist die Form von Kapitalgesellschaften haben und große, sehr große Flächen bewirtschaften, und – das erwähnt das IW natürlich nicht – vor allem Anbau zur Biogaserzeugung betreiben, in chemisch gestützter Monokultur.

Die Hälfte der Einnahmen in landwirtschaftlichen Betrieben stammt aus Agrarsubventionen von der EU oder dem Bund und dem Bundesland. Das ist allerdings nicht notwendigerweise im Interesse der Bauern. Schließlich gibt es viele Bereiche, beispielsweise die Milchwirtschaft, in denen es einen Käufermarkt gibt. Sprich, selbst Molkereigenossenschaften, die einmal gegründet wurden, um die Marktposition der Hersteller zu stärken, können sich gegenüber dem Oligopol der Handelsketten nicht durchsetzen und erhalten schlicht den Preis, den diese Konzerne zu zahlen bereit sind. In diesem Fall werden öffentliche Mittel eingesetzt, um trotz dieses Oligopols die Produktion aufrechtzuerhalten, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob nicht die Entwicklung dieser Subventionsstruktur gerade die Voraussetzung dafür ist, dass die Lebensmittelkonzerne zusätzliche Gewinne erzielen können, diese Subventionen letztlich also nicht die Bauern finanzieren, sondern jene Gewinne.

Die tatsächlichen Einkommen klingen dann nach wesentlich mehr, als sie sind. Dabei ist vor allem eines bei der Betrachtung der vorhandenen Zahlen wichtig: es handelt sich um Durchschnittswerte. Wenn das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft beispielsweise für 2020/2021 das Einkommen für Haupterwerbsbetriebe mit 46.118 Euro pro Arbeitskraft angibt, für juristische Personen mit 48.083 Euro je Arbeitskraft, dann handelt es sich darum in jedem Fall um ein Bruttoeinkommen; bei den juristischen Personen ist dann auch noch der Arbeitgeberanteil enthalten (in diesem Fall wurden Gewinn und Personalkosten addiert und auf Köpfe aufgeteilt). Es ist also ein Betriebsergebnis je Arbeitskraft, aus dem man erst ein Nettoeinkommen errechnen muss, will man ein realistisches Bild erlangen.

Dabei unterscheiden sich diese Betriebstypen gewaltig. Die durchschnittliche Fläche liegt etwa bei einem Haupterwerbsbetrieb bei 92 Hektar, bei einem Nebenerwerbsbetrieb bei 36 und bei einer juristischen Person sogar bei ganzen 1.068 Hektar – also mehr als dem Zehnfachen eines Haupterwerbsbetriebes. Wie gigantisch diese Betriebe im Vergleich sind, zeigt sich am Bundesdurchschnitt für landwirtschaftliche Betriebe: Der liegt nämlich bei ganzen 64,13 Hektar (2022), wobei Bayern mit 36,89 Hektar am unteren und Mecklenburg-Vorpommern mit 273,68 Hektar am oberen Ende rangieren.

Und die angegebenen Einkommen sind Durchschnittseinkommen, keine Medianeinkommen. Der Median lässt sich durchaus finden, und ist – wie zu erwarten – deutlich niedriger. Er liegt für alle Betriebe bei 33.500 Euro, und zwar für das gleiche Jahr und von der gleichen Quelle ermittelt, aus der auch das IW seine Zahlen bezog. Geteilt durch 12 Monate ergibt sich dann ein Betrag von 2.700 Euro im Monat, und davon gehen dann mindestens noch 270 Euro Rentenversicherung und um die 200 Euro für die Krankenversicherung ab, außerdem die Einkommensteuer. Vor Steuerabzug sind schon nur noch etwas mehr als 2.200 Euro im Monat übrig (die Einkommensteuerberechnung für Landwirte ist noch komplizierter als die der Krankenversicherungsbeiträge). Das klingt schon völlig anders. Auf dieser Höhe oder darunter bewegt sich aber – genau das besagt der Median – die Hälfte aller Einkünfte.

Wenn man jetzt betrachtet, dass die Hälfte dieses Einkommens (bei Nebenerwerbslandwirten sogar mehr als 90 Prozent) aus Subventionen stammt, wird klar, dass ohne diese Subventionen diese Betriebe ihre Arbeit einstellen müssten, weil es nicht möglich ist, von diesem Einkommen zu leben, was sich – wenn man sich an die Funktion erinnert, die dieser Wirtschaftszweig eigentlich für die Gesellschaft erfüllt – in einen fast vollständigen Ausfall übersetzt.

Bei alledem lautete die stille Zielvorgabe der EU und zuvor bereits der EG immer, die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe zu beseitigen. Tatsächlich gibt es nach wie vor einen enormen Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft. 2020 gab es noch 263.500 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, im Jahr 1995 waren es noch doppelt so viele. Am Anfang dieses Konzentrationsprozesses, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, lebten noch 80 Prozent der deutschen Bevölkerung in und von der Landwirtschaft, und die weit überwiegende Mehrheit betrieb reine Subsistenzwirtschaft auf einer Fläche von einem bis zwei Hektar.

Weil die Subventionen einen derart hohen Anteil der Einkommen darstellen, ist es nachvollziehbar und für den einzelnen Landwirt betriebswirtschaftlich vernünftig, seine Produktion an diesen Subventionen auszurichten. Das bedeutet: faktisch steuern diese Mittel die Produktion, und wer diesen Vorgaben nicht folgt, geht ein beträchtliches wirtschaftliches Risiko ein. Das wäre nicht grundsätzlich schädlich, würde diese Steuerung darauf abzielen, die oben erwähnte Regierungsaufgabe der Ernährungssicherung des ganzen Landes zu erfüllen. Das allerdings ist ganz und gar nicht der Fall, was sich daran erkennen lässt, dass in Deutschland 80 Prozent der pflanzlichen Nahrungsmittel importiert werden müssen, aber ungeheure Flächen – subventionsgesteuert – zur Erzeugung von Biogas bepflanzt werden. Denn eigentlich ist die Ernährungssicherung die Pflicht, und alles andere wäre nur die Kür.

Übrigens ist die Fülle der bürokratischen Vorgaben aus Brüssel in der Landwirtschaft nicht geringer als im Handwerk. Auch das ist, wenn auch noch etwas verdeckter, eine Steuerung in Richtung größerer Betriebe, weil es überall jemanden geben muss, der sich durch den überwiegend schwer lesbaren Wust der Auflagen und Nachweispflichten hindurcharbeitet. Die erforderliche Buchhaltung ist schlimm genug und war schon immer für alle vor allem manuell tätigen Berufe ein Problem, aber verglichen mit EU-Nachweispflichten und Antragsformularen ist das geradezu ein Vergnügen. Niemand will Landwirtschaft betreiben, weil er gerne Papierkriege führt. Mit dem Bauernhof aus Kinderbüchern hat das Ganze jedenfalls nichts mehr gemein.

Natürlich gibt es auch die besagten Großbetriebe mit über tausend Hektar, die sich an die meistsubventionierten Produkte halten und entsprechende Gewinne einfahren. Aber selbst da bleibt eine Frage offen: sind sie zufrieden damit, Biogasanlagen zu befüllen, oder wäre es nicht eher ihr Wunsch, Kartoffeln zu pflanzen? Jedenfalls, wenn es sich dabei nicht um eine Gesellschaft handelt, die irgendwelchen Kapitalanlegern gehört (auch das gibt es), sondern um eine große Genossenschaft, und die Menschen, denen sie gehört, Landwirtschaft als die Arbeit sehen, die sie glücklich macht. Wieviel ist noch übrig von der Selbstbestimmung, wenn Aussaatplan (und noch viele andere Details) eigentlich in Brüssel entschieden werden?

Es ist – in einem anderen Bereich und auf andere Weise – im Grunde das Gleiche, was den Taxifahrern mit der Einführung von GPS-Geräten passiert ist. Taxifahrer wurden viele Menschen, weil sie weniger Kontrolle über ihre Arbeitszeit haben wollten, eben nicht in einem Betrieb arbeiten, der nach der Stechuhr geregelt ist, und sie haben – für eben diese Freiheit – lieber auf Einkommen verzichtet. Seit in jeder Minute festgestellt und aufgezeichnet wird, wo sie sich aufhalten, ist das ein für alle Mal vorüber. Wer Bauer wird, will nicht in einer Fabrik oder einem Büro arbeiten, stellt aber inzwischen fest, dass er nicht nur zu einem Anhängsel einer von Lebensmittelkonzernen und Brüsseler Vorgaben gelenkten Großproduktion geworden ist und immer mehr Büroarbeit erledigen muss, sondern noch dazu in vielen Fällen dafür ziemlich schlecht bezahlt wird.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass die so vielfach geschmähte Planwirtschaft der DDR im Vergleich zur heutigen Brüsseler Lenkung sowohl mehr Entscheidungsfreiheit als auch ein deutlich besseres Leben auf dem Land bot, weil Infrastruktur und Kultur deutlich stärker subventioniert wurden. Die heutigen Vorgaben haben nicht einmal die Rechtfertigung, die Ernährung der Bevölkerung sichern zu sollen, da sie genau das eben nicht tun. Wer sich an die Auseinandersetzung in den Niederlanden im vergangenen Jahr  und an die EU-Pläne zur Beschränkung von Kunstdüngern erinnert, muss feststellen, dass sie eher eben diese Ernährung gefährden, sollten sie je in vollem Ausmaß umgesetzt werden.

Wenn es jetzt zu Protesten kommt, weil durch diese Bundesregierung die Einkommen weiter gekürzt werden, dann ist diese Kürzung nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der wirkliche Gegner ist eine menschenfeindliche neoliberale Politik, an deren Durchsetzung in und über Brüssel jede deutsche Regierung der letzten Jahrzehnte beteiligt war. Für die großen Finanzinvestoren wie BlackRock und die Agrarkonzerne wie Monsanto, die beide längst damit beschäftigt sind, landwirtschaftliche Flächen zu horten, ist jeder politische Schritt nützlich, der das Überleben der bäuerlichen Betriebe erschwert, und es sind deren Interessen, denen die Politik dient.

Von Gesprächsangeboten ist dementsprechend nicht viel zu halten. Inzwischen kursieren Gerüchte, dass Teilnehmer an den Protesten Anzeigen wegen Steuerhinterziehung erhielten, weil sie mit den grünen Kfz-Kennzeichen gar nicht zu den Protesten hätten fahren dürfen. Das größte Problem, das diese Proteste bisher haben, besteht allerdings darin, dass die städtische Bevölkerung zu großen Teilen noch nicht erfasst hat, was ihr droht, sollte die Entwicklung, gegen die sich die Bauern heute wehren, erfolgreich abgeschlossen werden. Die bäuerliche Landwirtschaft ist der einzige Schutz davor, dass BlackRock und Monsanto unmittelbar die Kontrolle über die Versorgung mit Nahrungsmitteln erhalten. Wie das aussähe, möchte man sich nicht einmal vorstellen.

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