Europa

WHO-Regionaldirektor Kluge im RT-Interview: Ziel für 2022 ist, den COVID-19-Notstand zu beenden

Der Regionaldirektor für Europa bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Hans Kluge beantwortete RT Fragen zur Corona-Krise und den Affenpocken. Zudem äußerte er sich zum WHO-Resolutionsvorschlag der Schließung des in Moskau ansässigen Europäischen WHO-Büros für die Prävention und Bekämpfung nicht übertragbarer Krankheiten.
WHO-Regionaldirektor Kluge im RT-Interview: Ziel für 2022 ist, den COVID-19-Notstand zu beendenQuelle: www.globallookpress.com © TOBIAS STEINMAURER via www.imago

Der belgische Arzt Dr. Hans Henri P. Kluge steht seit 1999 im Dienst der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ist seit Februar 2020 verantwortlicher Leiter des WHO-Regionalbüros für Europa. Kluge koordiniert in seiner Funktion für fünf Jahre die gesundheitspolitische Arbeit in 58 Ländern mit insgesamt rund 900 Millionen Einwohnern. 

Im Januar 2022 hatte der Regionalleiter der Nachrichtenagentur AFP zu Protokoll gegeben, dass er ein Ende der COVID-19-Pandemie in Europa nach der derzeitigen Omikron-Welle für möglich halte. So teilte er der AFP mit:

"Es ist plausibel, dass die Region (Europa) sich auf eine Endphase der Pandemie zu bewegt. Also stellen wir uns darauf ein, dass es eine Zeit der Ruhe geben wird, bevor COVID-19 zurückkommen könnte gegen Ende des Jahres, aber die Pandemie kommt nicht unbedingt zurück."

Kluge beantwortete RT nun einige Fragen zu mehreren aktuellen Themen aus der Virologie und daraus resultierenden Maßnahmenaktualisierungen in Bezug auf die Affenpocken und die Corona-Krise. Vorrangiges Ziel der WHO für dieses Jahr bleibe es, den durch die COVID-19-Pandemie verursachten Notstand zu beenden. Dafür "müssen wir weiterhin Maßnahmen ergreifen, um die Übertragung zu verlangsamen und die Ansteckung von Personen zu verhindern, die für schwere Erkrankungen anfällig sind", so der belgische Arzt. Dr. Kluge erklärte zu den erwarteten Herbst- und Winterverläufen:

"In diesem Herbst und auch schon vorher rechne ich mit einem Wiederauftreten von COVID-19 in Europa. Im Herbst und Winter wird es möglicherweise zusammen mit der Influenza zirkulieren. Wie sich dies auf die Gesundheit der Infizierten auswirkt, hängt von ihrem Impfstatus und ihren Möglichkeiten ab, sich schnell behandeln zu lassen.

Ich fordere alle, die sich noch nicht gegen COVID-19 geimpft haben, auf, dies so bald wie möglich zu tun, insbesondere wenn sie über 60 Jahre alt sind oder an Grunderkrankungen leiden, die sie anfälliger machen."

Bezugnehmend auf das weltweite und speziell in Europa auftretende Phänomen stetig zunehmender Affenpocken-Fälle teilte Dr. Kluge auf RT-Anfrage mit, dass die WHO nach ihrer Notfallausschusssitzung vorerst trotz der steigenden Infektionszahlen keinen "Öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationalem Belang" (Public Health Emergency of International Concern – PHEIC) ausrufen werde. Affenpocken-Infektionen stellen "ein echtes Risiko dar", so Dr. Kluge, um weiter zu erläutern:

"Auch wenn der Notfallausschuss beschlossen hat, vorerst keinen PHEIC auszurufen, dürfen wir nicht selbstgefällig sein. Der Ausbruch der Windpocken bleibt eine sich entwickelnde Gesundheitsbedrohung, die unsere gemeinsame Aufmerksamkeit und koordinierte Maßnahmen erfordert."

Zu den Besonderheiten der Übertragung und potenziellen Gefahren von Affenpocken-Infektionen bemerkt Dr. Kluge:

"Zwar sind von dem Ausbruch offenbar unverhältnismäßig viele jüngere Männer betroffen, die Sex mit Männern haben, doch sind die Affenpocken nicht an die sexuelle Orientierung gebunden und können jeden treffen. Es wäre daher falsch, jemanden wegen des Ausbruchs zu stigmatisieren.

Jeder kann sich durch engen Kontakt mit einer infizierten Person anstecken, und jeder kann die Krankheit weitergeben. Die Wahrscheinlichkeit einer Verbreitung in einer breiteren Bevölkerung ist jedoch derzeit noch gering."

Die "Schließung von Veranstaltungsorten und die Absage von Veranstaltungen" aufgrund der Sorge vor potenziellen Infektionsherden wären für Dr. Kluge eher "kontraproduktiv, da sie die Zahl der Sexualkontakte nicht verringern, sondern die Aktivitäten an andere Orte verlagern" würden. Öffentlichkeitsarbeit und die Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit wären durch solche Vorsichtsmaßnahmen "weniger zugänglich". Es zeige sich jedoch in der Gesamtbetrachtung des Problems:

"Regierungen, Gesundheitspartner und die Zivilgesellschaft müssen dringend und gemeinsam handeln, um alle Fälle und Kontakte zu identifizieren. Dies ist jedoch eine große Herausforderung, vor allem, da viele Menschen ihren ersten Pandemiesommer ohne die physischen Distanzierungsmaßnahmen und Reisebeschränkungen der letzten zwei Jahre genießen."

Die prophylaktische Bestellung von 110.000 Affenpocken-Impfdosen für Europa (Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat zudem insgesamt 240.000 Dosen nur für Deutschland separat bestellt) durch die WHO begrüßte Dr. Kluge:

"Vorbeugung ist unsere erste Verteidigungslinie, daher sollten Menschen und Regierungen alles tun, um eine Infektion von vornherein zu verhindern, indem sie verstehen, wie sich das Virus ausbreitet, und Gelegenheiten zur Übertragung reduzieren oder beseitigen."

Dr. Kluge erläutert in seiner Antwort, dass dabei jedoch Folgendes zu beachten sei:

"Es gibt jedoch nur wenige verfügbare Impfstoffe und nur wenige Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit der Verwendung dieser Produkte auf Gemeindeebene." 

Daher sollte in Erwägung gezogen werden, ob nicht einige Länder "auch eine Präexpositionsprophylaxe (der Einsatz von Kombinationspräparaten) mit Impfstoff für bestimmte Risikogruppen, darunter Beschäftigte im Gesundheitswesen, Labormitarbeiter und bestimmte Bevölkerungsgruppen mit besonders hohem Expositionsrisiko", in Erwägung ziehen sollten. 

Anfang Mai hatte die WHO in einem Resolutionsvorschlag die Schließung des in Moskau ansässigen Europäischen WHO-Büros für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten gefordert. Außerdem war die russische Behörde aufgefordert worden, "die Aussetzung aller regionalen Tagungen in der Russischen Föderation zu erwägen, bis eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine erreicht ist". Dr. Kluge wurde von RT gefragt, ob er diese Resolution als sinnvoll betrachte.

Der WHO-Regionaldirektor antwortete bezüglich der Beschlusslage der Sondertagung des WHO-Regionalkomitees, dass die Ergebnisse dieser Tagung im vergangenen Monat der Weltgesundheitsversammlung vorgelegt worden waren, auf der "die Delegierten die Resolution WHA75.11 verabschiedeten". In der Resolution wird unter anderem "auf die direkten und indirekten Auswirkungen auf die Gesundheit in der Ukraine, in der Europäischen Region und darüber hinaus hingewiesen und die Angriffe auf die Gesundheitsversorgung verurteilt, wie sie vom WHO-Überwachungssystem für Angriffe auf die Gesundheitsversorgung dokumentiert werden", schilderte Dr. Kluge und antwortete im Folgenden diplomatisch:

"Die Arbeit, die das NCD-(Noncommunicable Diseases)-Büro (Büro für Nichtübertragbare Krankheiten) in den letzten Jahren geleistet hat, war für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen in der gesamten europäischen Region von entscheidender Bedeutung, da es bedeutende Forschungs- und Politikberatungsergebnisse hervorgebracht hat."

Dr. Kluge wies in seinem Antwortschreiben abschließend darauf hin, dass "die NCD-Agenda nach wie vor ganz oben auf der regionalen Agenda" stehe und derzeit Beratungen darüber stattfänden, "wie die Arbeit in diesem Bereich besser aufrechterhalten und die Fortschritte weiter beschleunigt werden können". 

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