Deutschland

Gespaltene Friedensbewegung trifft Liebknechts Enkelin

Zum diesjährigen Weltfriedenstag steht die Friedensbewegung gespalten wie nie zuvor da. In Leipzig wurde das nun besonders deutlich – ausgerechnet vor den Augen der Enkelin Karl Liebknechts, der, als es darauf ankam, gegen alle aufstand und "Nein!" zu einem populären Krieg sagte.
Gespaltene Friedensbewegung trifft Liebknechts EnkelinQuelle: RT

Zur Erinnerung an den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939, der in der europäischen Geschichtsschreibung als Beginn des Zweiten Weltkriegs gilt (chinesische Historiker hätten da einige Einwände), wird am 1. September der "Weltfriedenstag" gefeiert. Traditionell zählt der Tag als jährlicher Pflichttermin für die deutsche Friedensbewegung: Kundgebungen werden abgehalten, Umzüge veranstaltet, Reden gehalten, Preise verliehen. 

Dieses Jahr stand der Weltfriedenstag im sächsischen Leipzig unter einer besonderen Schirmherrschaft: Die Enkelin von Karl Liebknecht, Marianne (81), war in der Stadt zu Gast, besichtigte das im Geburtshaus ihres berühmten Vorfahren eingerichtete kleine Museum und hatte auch den ausdrücklichen Wunsch, der traditionellen Friedenskundgebung beizuwohnen. 

Doch ausgerechnet die Partei, als deren Mitbegründer ihr großer Vorfahre immer noch gilt, blieb der traditionellen Kundgebung fern. DIE LINKE hat in diesem Jahr ausdrücklich beschlossen, nicht teilzunehmen, nachdem ihre Beteiligung in den Vorjahren ohnehin immer spärlicher geworden war. Der Grund, der von den wenigen Genossen genannt wurde, die gegen das Teilnahmeverbot verstoßen haben und doch zugegen waren, lag im Aufruf zu der Kundgebung. Darin sei für den Geschmack der heutigen Linken zu wenig Kritik an Russland enthalten gewesen. Dafür aber Kritik an der NATO, die man im Leipziger Liebknecht-Haus, dem Sitz des Stadtverbandes, am liebsten gar nicht gesehen hätte. 

Immerhin haben sich etwa 200 Leipziger am Kundgebungsort, dem sogenannten "kleinen" Leuschnerplatz versammelt. Anhand von Parteifahnen und Bannern waren die Kommunistische Organisation (KO), die KPD, die MLPD und die DKP auszumachen. Daneben Vertreter der "Freien Linken", einer im Zuge des Streits um den Umgang mit der Corona-Krise entstandenen Abspaltung. 

Ganz in antideutsches Schwarz gekleidete Störer, fünf oder sechs an der Zahl, waren von der Polizei in sichere Entfernung verwiesen worden. Gesichtsvermummung ist zwar nach wie vor illegal, wird aber seit Corona geduldet. Irgendeine Wirksamkeit wird das Grüppchen im Laufe des Abends dank der anwesenden Polizei ohnehin nicht entfalten können. 

Die Hauptrede hielt der attac-Aktivist Mike Nagler, dem RT-Leser bekannt als der Veranstalter des globaLE-Filmfestivals, der Mitte August während der Vorführung von Oliver Stones "Ukraine on Fire" von ukrainischen "Patriotinnen" angegriffen wurde. 

Nagler formulierte unter Beifall der Versammelten die Forderungen der Kundgebung: "Nein zum Krieg! Nein zu Aufrüstung, Waffenlieferungen und Sanktionspolitik". Die Anwesenheit der Enkelin von Karl Liebknecht, eines der wenigen deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten, der 1914 dem Ersten Weltkrieg seine Zustimmung verweigert hatte, bot dem Redner Gelegenheit, historische Parallelen zur Situation heute auszuarbeiten: 

"Diese Kriegsfront reicht durch nahezu alle Parteien im Bundestag und die Parallelen zum 'Burgfrieden' von 1914 sind erschreckend. … Rosa Luxemburg sagte 1913 hier in Leipzig: 'Solang das Kapital herrscht, werden Rüstung und Krieg nicht aufhören.' Ein Jahr später tobte der Erste Weltkrieg. Damit hat sie auch heute noch Recht, denn … Kapitalismus führt unausweichlich immer wieder zu Kriegen."

Durchaus populistisch machte Nagler einen Bogen zu den aktuellen Existenzängsten der Deutschen: 

"Die Kosten für die Kriegs- und die Krisenfolgen sollen wir zahlen. Große Teile der Bevölkerung werden damit in die Armut getrieben. Wir sollen frieren für ihren Krieg. Wir sollen zahlen, während bei den Rüstungs- und Energiekonzernen die Profite explodieren!" 

Den Schluss- und Höhepunkt der Rede, der unter den Anwesenden frenetische Ovationen hervorrief, bildete der berühmteste Ausspruch von Karl Liebknecht, an dem heute kein Weg vorbeiführte: 

"Der Hauptfeind steht im eigenen Land!" 

Einen Kontrapunkt zu Naglers Rede bildete einige Zeit später der Beitrag von Jörg Weidemann, der für die MLPD das Wort ergriff. Er forderte unter verhaltenem Beifall, aber auch zum lautstarken Missfallen einiger Kundgebungsteilnehmer, den "sofortigen Abzug der russischen Invasionstruppen" aus der Ukraine und "Reparationszahlungen" Russlands an Kiew.

Auf ausdrückliche Nachfrage bestätigte Weidemann später, dass damit auch ein Abzug Russlands aus dem Donbass und von der Halbinsel Krim gemeint sei. Sollten die Russen der Krim tatsächlich nicht zur Ukraine gehören wollen, dann sollen sie sich bewaffnen und selbst verteidigen, so der Ratschlag des Marxisten-Leninisten an die Einwohner der Halbinsel, den er nach seinem Auftritt dem RT-Reporter auf den Weg gab. 

Weniger kontrovers waren die anderen Forderungen der Rede, etwa die nach einem sofortigen Waffenstillstand aller Kriegsparteien sowie die obligatorischen Parolen gegen "das deutsche Monopolkapital", sodass auch der Beitrag der MLPD am Ende mit Beifall und nicht mit Tumulten quittiert wurde. 

Und die Enkelin von Karl Liebknecht? Sie wählte für ihre Ansprache leise und sanfte Töne, erinnerte an die Natur, die durch Kriege ebenso bedroht werde, wie die Menschheit. Vielleicht ist es auch gut, dass sie nichts von den Kontroversen in und um die Friedensbewegung mitbekommen hat. 

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