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Messerangriff von Brokstedt: Versäumnisse der Behörden kommen ans Licht

Ein Ausweis, der in die Akte eines anderen Antragstellers gehört. Eine Behörde, die nicht weiß, was die andere tut. Das Verhalten des mutmaßlichen Täters während eines Gefängnisaufenthaltes, das man wohl nicht ernst nimmt. Die Liste der Versäumnisse im Fall Brokstedt wird immer länger.
Messerangriff von Brokstedt: Versäumnisse der Behörden kommen ans LichtQuelle: www.globallookpress.com © Jonas Walzberg / dpa

Rund zwei Wochen nach dem Messerangriff im Regionalzug von Kiel nach Hamburg werden immer mehr Versäumnisse verschiedener Stellen, die eigentlich mit dem mutmaßlichen Täter Ibrahim A. befasst waren, bekannt. Dem Mann wird nun vorgeworfen, am 25. Januar bei Brokstedt in Schleswig-Holstein auf Fahrgäste eingestochen zu haben. Dabei wurden zwei Menschen getötet und fünf weitere teils schwer verletzt. Der mutmaßliche Täter wurde noch am Bahnhof Brokstedt festgenommen. Knapp eine Woche vor der furchtbaren Tat war der 33-Jährige aus der U-Haft in Hamburg entlassen worden. Im Umgang der Behörden mit dem mutmaßlichen Attentäter ist wohl noch mehr schiefgelaufen als bislang bekannt.

Mehrere Teilnehmer einer nicht-öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestags berichteten am Mittwoch übereinstimmend, der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Mahmut Özdemir (SPD), hätte gesagt, in die Akte, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu Ibrahim A. angelegt hatte, wäre fälschlicherweise ein Ausweis aus Syrien von einer anderen Person gelangt. Daher wäre das BAMF zwischenzeitlich davon ausgegangen, dass der Mann ein staatenloser Palästinenser aus Syrien sei.

Ein BAMF-Abteilungsleiter hatte zuvor im Innenausschuss des Landtages von Schleswig-Holstein erklärt, Ibrahim A. selbst hätte nach seiner Einreise 2014 gesagt, er stamme aus dem Gazastreifen und sei staatenlos. Die Behörde teilte am Mittwoch auf Anfrage mit:

"Eine syrische ID-Karte war dem Verfahren zunächst fälschlicherweise zugeordnet, ist danach aber wieder der korrekten Person zugeordnet worden."

Unabhängig davon hätte im Jahr 2016 aufgrund der dargestellten Fluchtgeschichte – Verfolgung durch die Hamas – ein Schutzstatus erteilt werden müssen. Im Ausschuss wurde allerdings auch darüber gesprochen, dass dem BAMF, als die Entscheidung über Schutz für Ibrahim A. fiel, nicht bekannt gewesen war, dass der Antragsteller in Nordrhein-Westfalen, wo er zunächst lebte, schon wegen weiterer Attacken "mit einem scharfkantigen Gegenstand" mit dem Gesetz in Konflikt geraten war.

Die Behörden in Hamburg und Schleswig-Holstein schieben sich in Bezug auf den Umgang mit dem mutmaßlichen Täter gegenseitig die Verantwortung zu. Dabei geht es unter anderem um die Frage, warum das Verfahren des BAMF zur Rücknahme des sogenannten subsidiären Schutzstatus für den Palästinenser nicht zu Ende gebracht worden war. Rückführungen in die Palästinensergebiete sind nach Auskunft des Bundesinnenministeriums grundsätzlich möglich, aber sehr schwierig. Der Gazastreifen hat keinen internationalen Flughafen. 2018 war – mit erheblichem Aufwand – ein Palästinenser aus Deutschland via Jordanien ins Westjordanland abgeschoben worden.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte den Ländern am Montag vorgeschlagen, dass künftig die Strafverfolgungsbehörden die Ausländerbehörden "umgehend darüber informieren, wenn die betroffene Person inhaftiert wird und wo sie inhaftiert wurde sowie wenn die betroffene Person aus der Haft entlassen wird und welche Entlassungsanschrift angegeben wurde".

Bereits vor wenigen Tagen sorgte eine weitere Nachricht in Bezug auf den mutmaßlichen Messerangreifer für Aufsehen. Zugleich setzte sie Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina unter Druck. Ibrahim A. soll sich wenige Monate vor seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in Hamburg mit dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, verglichen haben. Jener war 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge gerast. 13 Menschen wurden getötet. Die Opposition in der Hamburgischen Bürgerschaft, dem Landesparlament, legte der Grünen-Politikerin am Montag geschlossen den Rücktritt nahe. CDU-Fraktionschef Dennis Thering sagte etwa: 

"Wenn es sich bewahrheitet, dass Ibrahim A. in der Haft mit Attentaten drohen konnte und trotzdem ohne Konsequenzen auf freien Fuß gesetzt wurde, wird Justizsenatorin Gallina nun endgültig nicht mehr zu halten sein."

Wie die Justizbehörde am Sonntag mitgeteilt hatte, habe Ibrahim A. zu Bediensteten gesagt: "Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere, ich bin auch einer." Die Äußerung vom August 2022 sei demnach auch in einem sogenannten Wahrnehmungsbogen in der Gefangenenpersonalakte festgehalten worden, so die Behörde weiter. Zudem gehe daraus hervor, dass Ibrahim A. am 6. August 2022 bei der Vorbereitung für die Freistunde auf dem Hof nach Wahrnehmung eines Bediensteten "vor sich hinstammelte": "Großes Auto, Berlin, das ist die Wahrheit." Gegenüber einem weiteren Bediensteten äußerte er den Angaben zufolge auf dem Weg zum Hof zweimal, ob dieser auch "unter die Reifen" wolle.

Laut einem Bericht des NDR wurde 2021 das BAMF darüber informiert, dass Ibrahim A. mehrfach straffällig geworden war. Daraufhin sei auch ein Verfahren auf Rücknahme des subsidiären Schutzes eingeleitet worden. Doch da das BAMF keine korrekte Adresse des 33-Jährigen, der demnach keinen festen Wohnsitz hatte, ermitteln konnte, habe das Verfahren laut NDR lange nicht vorangebracht werden können. Als der Mann dann in U-Haft saß, hätte man ihn leichter erreichen können, doch wie ein Vertreter des BAMF im Innen- und Rechtsausschuss laut NDR-Bericht erklärte, sei weder die Flüchtlings- noch die Ausländerbehörde nach eigenen Angaben aus Hamburg darüber informiert worden, dass der Mann festgenommen wurde und dort vor Gericht stand.

Wie Hamburgs Justizstaatsrat Holger Schatz am Mittwoch im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags in Kiel erklärte, hätten die Behörden in Hamburg während der Haft des mutmaßlichen Messerangreifers von Brokstedt bei ihm keine Anzeichen für einen terroristischen Hintergrund gesehen. Es habe, abgesehen von der Äußerung zum Vergleich mit dem Attentäter Anis Amri, keine Indizien dafür gegeben. Der 33-Jährige habe keine Kontakte in islamistische Kreise gehabt, weder einen Koran noch einen Gebetsteppich im Haftraum besessen, so Schatz.

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(rt/dpa)

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