Meinung

Die Kriminalakte Nord Stream und die vielen Fragen

Das mediale und politische "Schwarzer-Peter-Spiel" ist das nächste Kapitel nach den Enthüllungen von Seymour Hersh zur Rolle der USA in der Zerstörung der Pipelines. Die Inszenierung mit vielen Verdächtigen ähnelt mittlerweile einem Krimi-Plot von Agatha Christie.
Orient-ExpressQuelle: Legion-media.ru © Stefan Zeitz

Von Karin Kneissl

Bei der Lektüre der jüngsten Artikel in der New York Times und einiger deutscher Online-Ausgaben fragte ich mich wie vielleicht Millionen andere Menschen: Für wie dumm halten uns die Verfasser dieser Texte? Denn die Gruppe, die in dieser neuen Version des Tathergangs hinter dem Anschlag steht, soll demnach eine pro-ukrainische sein, die während ihres Segelausflugs den Tauchgang absolvierte, alles akribisch geplant hatte, nur dann eben die Pässe am Tatort vergessen haben soll. Auf dem Boot mischten die Täter auch ihren Sprengstoff, denn in den Artikeln ist auch von Sprengstoffspuren die Rede. Besonders bizarr erscheint, dass "man" Folgendes weiß.

Der Krimi-Plot

"Demnach hatten unbekannte Täter mit gefälschten Pässen im Herbst vergangenen Jahres eine deutsche Jacht in Rostock angemietet, Mieter war formell eine in Polen registrierte Firma in Besitz eines Ukrainers. Laut den Ermittlungen waren lediglich sechs Menschen an dem Anschlag auf die Pipelines direkt beteiligt, darunter neben dem Bootsführer zwei Taucher, zwei Helfer und eine Ärztin. Die gefälschten ukrainischen Pässe sowie Sprengstoffspuren seien auf dem Boot sichergestellt worden." Aber der große Rest, wie die Finanzierung, internationale Verbindung etc. ist unbekannt. Eine groteske Sachverhaltsdarstellung, die derzeit in den deutschen Medien intensiv und so ernsthaft diskutiert wird, dass man sich fragt, ob dies alles Satire ist.

Unmittelbar nach der Bombardierung Ende September bedankte sich zwar ein ehemaliger polnischer Minister bei den USA, doch viele der medial befragten universitären Experten, vor allem im deutschen Sprachraum, machten schnell die russische Regierung als Täter aus. Dieses Mal rücken auch deutsche Politiker aus und meinen, dass diese Gruppe wohl keine Verbindung zum offiziellen Kiew habe, also es sich um eine "False Flag"-Operation handle. Es wird an allen Ecken geschnattert und gegackert, aber mit meist lächerlichen Argumenten.

Die vielen Verdächtigen

Als ich im Herbst des Vorjahres um meine Einschätzung gefragt wurde, meinte ich, dass sich, wie in einem Krimi von Agatha Christie, viele Verdächtige im Raum befinden. Es müsste eine Miss Marple oder ein Hercule Poirot ran an die Sache, das übernahm vor einem Monat der US-amerikanische Investigativ-Journalist Seymour Hersh. In einem Substack-Beitrag legte der erfahrene Journalist seine Analyse vor, wonach die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines von der US-Regierung mit der Unterstützung Norwegens veranlasst wurden.

Hersh recherchiert seit dem Vietnamkrieg unter anderem zu Kriegsverbrechen wie jene der US-Soldaten im irakischen Gefängnis Abu Ghaib. Nächste Woche will er weiteres Material veröffentlichen. In einer ersten Reaktion auf die neue Variante machte auch Hersh sich über den nun aufgetischten Sachverhalt lustig. Zu seiner Veröffentlichung schwiegen die meisten Redaktionen ebenso wie die Politik. Die betroffenen europäischen Unternehmen, die gegen unbekannt ermitteln lassen sollten, haben bislang noch keine Untersuchungen angestellt. Und Russland wird in die Ermittlung erst gar nicht einbezogen.

In diesen Tagen setzt nun ein "blame game" ein, in dem der Schwarze Peter einander wechselseitig zugeschoben wird. So entsteht der Eindruck, als wollte man in Washington und Berlin Ammenmärchen über alle Logik stellen. Es ist ein bizarres Spiel, handelt es sich doch um einen schweren Kriminalfall, den Russland als terroristischen Akt qualifiziert. In der Türkei wurden bereits Maßnahmen ergriffen, die Erdgasleitung TurkStream verstärkt zu schützen, da mit dem Angriff auf die Energie-Infrastruktur ein Präzedenzfall gesetzt wurde, der einem Dammbruch in den internationalen Beziehungen gleichzusetzen ist.

Dass Pipelines zum Ziel terroristischer Anschläge werden können, ist hinlänglich bekannt. Nach der US-Invasion in den Irak im März 2003 verfiel das Land in tiefe Gewalt, die vielen Angriffe auf Pipelines und Terminals reihten sich in den Terror, dem das Land seither immer wieder ausgesetzt ist.  Doch im Fall Nord Stream hätten demnach staatliche Behörden an dem Anschlag mitgewirkt. Das macht den Unterschied zu den Attentätern im Nahen Osten.

Die Schuldzuweisungen

Seit den Enthüllungen durch Seymour Hersh zur Beteiligung der USA am Anschlag auf diese kritische Infrastruktur lassen sich die Puzzleteile dieses Terrorakts logisch zusammensetzen. Es fügen sich Aussagen des US-Präsidenten Joe Biden vom Januar 2022 wie auch Befragungen im US-Kongress und vieles andere in ein schlüssiges Gebilde zusammen. Beteiligt waren demnach die Nachrichtendienste mehrerer NATO-Staaten. Nun den Ukrainern den schwarzen Peter zuzuschieben, ist sehr fadenscheinig. Die Ukraine dementiert, dankt aber, dass man ihren Tauchern eine solche Aktion zutraut. Auf der Weltbühne debütierten schon bessere Schauspieler mit klügeren Drehbüchern, die letztlich auch Fiktion waren.

Die Inszenierung der aktuellen Darstellung scheint ins Leere zu laufen. Denn wie sehr die USA und einige EU-Staaten, allen voran die Balten und Polen, die seit dem Beginn einer direkten Trasse von Russland nach Deutschland um ihre Transit-Einnahmen bangten, gegen die Erweiterung von Nord Stream opponierten, war mir stets klar. Ich sagte auch bereits im Jahre 2018, dass die USA alles daransetzten, dass auch eine fertiggestellte Nord Stream 2 nicht operativ werden sollte. Den Unternehmen wurden ständig neue Steine in den Weg gelegt. Die Pipeline wurde im Sommer 2021 fertig, dann verschleppten die deutschen Behörden das administrative Zulassungsverfahren. Der Druck auf Deutschland verstärkte sich dann neuerlich mit dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022. Die gesamte Pipeline wurde gewissermaßen schubladisiert. Der Angriff auf die Röhren sollte letztlich garantieren, dass sie nicht in Betrieb genommen werden können. Der Angriff war zugleich ein Umweltdesaster, das aber bis heute niemanden interessiert.

Im Resümee lässt sich die Inszenierung des sogenannten Recherche-Kollektivs unter Führung der New York Times als misslungen beschreiben. Die New Yorker Redaktion entschuldigte sich Jahre nach dem Beginn des Irakkriegs bei ihren Lesen für die Falschinformationen zu Massenvernichtungswaffen im Irak und vieles mehr. Ob sie dieses Mal, im Verbund mit den deutschen Redaktionen, Asche auf ihr Haupt streuen, da sie wieder einmal Unfug berichten, bezweifle ich. Eine strafrechtliche Aufarbeitung des Falles Nord Stream ist aber erforderlich, vielleicht findet sich doch noch ein Geschäftsführer im Nord-Stream-Konsortium, um dies zu beginnen.

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