Meinung

Schlechte Nachrichten für deutsche Medien: BND-Chef sieht keine Anzeichen für Schwächung Putins

Am Montag tätigte der Chef des deutschen Geheimdienstes, Bruno Kahl, Aussagen über Russland und Wladimir Putin, die nur schwerlich Einzug in die deutschen Medien gefunden haben. Wirbt nun ausgerechnet der BND bei der deutschen Politik um mehr Realitätssinn?
Schlechte Nachrichten für deutsche Medien: BND-Chef sieht keine Anzeichen für Schwächung PutinsQuelle: www.globallookpress.com © Chrstopher Soeder

Von Wladislaw Sankin

Am Montag trat der Chef des Deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin auf und sagte etwas Aufsehenerregendes. Trotz erheblicher Verluste an Soldatenleben habe Russlands Präsident auch 15 Monate "nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine" nicht an Macht und Einfluss verloren, zitierte ihn die Nachrichtenagentur dpa. Man sehe keine erkennbaren Risse im System Putin, so Kahl weiter. Trotz vereinzelter Kritik – etwa, was Munitionslieferungen angehe – gebe es auch keine Anzeichen, dass das System ins Wanken gerate oder implodiere. Dies sei aber dennoch nicht auszuschließen.

"Russland ist nach wie vor in der Lage, einen Krieg auf der langen Distanz gesehen zu führen" – mit immer wieder neu rekrutierten Soldaten, sagte Kahl. Dies gelte auch für die Bereiche Rüstung und Munition. Insofern sei von Schwachheit oder davon, dass die militärischen Aktivitäten zusammenbrechen könnten, nicht zu reden. Zwar gebe es Verwundbarkeiten und auch Überraschungen – etwa, was die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte betreffe. Der BND-Chef schlussfolgerte: Wenn aber der Westen die Ukraine nicht sehr organisiert unterstützen und Widerstand organisieren würde, könnte sich Putins Strategie durchsetzen, die auf die lange Zeitschiene und die Masse setzt.

"Keine Risse im System Putins?" Dies ist keine Meldung, die problemlos den Einzug in die deutschen Medien finden würde. Nur vereinzelt wurde sie von ein paar großen Medien als Notiz in Ukraine-Tickern übernommen. Und T-Online sah sich genötigt, die Nachricht mittels Erwähnung von allerlei Gerüchten über Putin zu relativieren:

"Der russische Präsident zeigt sich nur selten in der Öffentlichkeit, soll zurückgezogen in einem Bunker hausen. Manche Experten halten ihn für sowohl politisch als auch gesundheitlich angeschlagen, mutmaßen, er könnte früher oder später vor einem Sturz stehen."

Dann aber gibt T-Online doch zu:

"Geheimdienst-Bericht macht wenig Hoffnung."

Die Enttäuschung des Redakteurs über diese Nachricht ist mit Händen zu greifen.

Aber wie gierig schnappten auch die vermeintlich seriösen Medien noch vor kurzem jede kleine Medienstory auf, wie etwa ein von den Ukrainern ins Netz gestelltes Telefonat zwischen zwei russischen reichen Männern in Baku und Dubai, die über die russische Führung lästerten. "Rückhalt für russische Elite bröckelt", verkündete etwa die Deutsche Welle dazu noch Ende März. Das Problem: Die beiden "Geleakten" hatten mit Politik nichts zu tun, befanden sich außerhalb Russlands und waren mit dem Problem beschäftigt, wie sie ihre Jachten vor einer Beschlagnahmung durch den Westen retten könnten.

Deutsche Medien und deutsche Politiker, die diese Medien konsumieren, sind Gefangene ihres eigenen Framings, dem zufolge Putin Russland wie ein Alleinherrscher regiere und über die russischen Bürger wie über willenlose Untertanen befehlige. Und die russischen Eliten, wer auch immer das sein mag, träumten nur davon, sich seiner zu entledigen, so das gängige Narrativ. Man müsse nur noch ein bisschen mehr Sanktionen nachschieben und noch ein bisschen mehr Waffen an die Ukraine liefern. Zu Tode erschreckt würden die Russen Putin dem Westen alsbald auf dem Silbertablett servieren. Der deutsche Mainstream orientiert sich immer noch an so prominenten Überläufern wie Michail Chodorkowski oder Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, die über Putin und Russland Dinge sagen, die der Westen hören will.

Wäre der Mainstream indes daran interessiert zu untersuchen, was in Russland wirklich passiert, würde er beispielsweise den Telegram-Blog für aktuelle Analysen des Instituts für Sozialforschung verfolgen und auf den folgenden Eintrag des Eliten-Forschers der russischen Diplomatenschule MGIMO, Jewgenij Mintschenko, stoßen. Er schreibt:

"Die russischen Eliten sind ideologisch viel homogener geworden, weil alle, die gegen die militärische Sonderoperation waren, auf die eine oder andere Weise aus der Elite herausgefallen sind: aus der Wirtschaft, aus der Politik. Und natürlich hat auch ein bedeutender Teil der kulturellen Elite Russland verlassen. Die Elite ist also monolithischer geworden."

Er erwähnt auch diejenigen Kulturschaffenden, die tatsächlich in großer Zahl aus Protest oder Unverständnis für die russische Politik nach Februar 2022 auswanderten.

"Die abgewanderten Sänger und Künstler, die für sich in Anspruch nahmen, das Gewissen der Nation zu sein, [wurden] von der Bevölkerung nicht als solches wahrgenommen."

Sie seien keine Meinungsführer mehr und diese Nische werde jetzt von anderen, neuen Menschen gefüllt.

In der militärischen Spezialoperation, die in Russland üblicherweise mit der Abkürzung "SWO" genannt wird, sieht Mintschenko eine Kaderschmiede. Die SWO sei zu einem Reservoir für neue Eliten geworden. Zu den erfolgreichen Beispielen gehören auch Exil-Ukrainer, wie der Politiker Wiktor Medwedtschuk, und eine Reihe von Regionalmanagern, die nach ihrer Arbeit in den neuen Gebieten zu Gouverneursvertretern wurden, ebenso wie mehrere Abgeordnete der Staatsduma. Für viele Gesetzeshüter sei ein Engagement in den neuen Gebieten ein sehr wichtiger Karriereschub, heißt es.

Und was erwartet die russische Elite in Zukunft? Verjüngung. Aber es kommt keine rebellierende Nawalny-Jugend, sondern im Gegenteil junge Menschen, die noch mehr patriotische Gefühle haben als die Älteren. Und dass die vermeintliche Polit-Ikone Alexei Nawalny kein Patriot ist, hat er nicht nur durch seine Zusammenarbeit mit den westlichen Regierungen und Geheimdiensten gezeigt. Er verhöhnte öffentlich auf wüste Art und Weise einen Veteranen und seine Familie, weil dieser an einer politischen Werbekampagne teilnahm, die Nawalny nicht gefiel. Das hat sehr viele, auch seine früheren Sympathisanten, angewidert.

Außerdem wird keiner der neuen russischen Kader mehr prowestlich sein, vermutet Mintschenko.

"Wir haben Spiele veranstaltet, wo wir versucht haben, die Konturen des neuen Parteiensystems zu simulieren. In keiner der Gruppen, in denen wir dieses Experiment durchführten, traten prowestliche politische Kräfte auf."

Der Forscher sieht darin sogar eher ein Problem, schätzt aber, dass der Wettbewerb konkurrierender Ideen in der Zukunft eine notwendige Aufsplitterung des neuen Parteispektrums auf natürliche Art und Weise schaffen wird.

Wie kann es sein, dass der BND-Chef und ein russischer Eliten-Forscher in ihren Einschätzungen des russischen politischen Systems im Wesentlichen gar nicht so weit voneinander entfernt liegen? Weil offenbar die Mitarbeiter von Bruno Kahl auch solche Informationsquellen wie die eben zitierten zur Kenntnis nehmen, um die Umwälzungen in Russland besser zu verstehen. Und es war der Wunsch des BND-Chefs, dass die von ihm getätigten Aussagen in die Medien gelangen, das ist offensichtlich. Ob sie als Signal für mehr Einsatz im Kampf gegen Russland oder doch für mehr Nüchternheit und Realitätssinn verstanden werden, liegt nun einmal mehr an der Qualität der politischen Führung.

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.