Meinung

Peru: Das erste Regierungsjahr von Pedro Castillo – ein steiniger Weg

Pedro Castillo hatte 2021 die Wahlen in Peru mit einer knappen Mehrheit von rund 44.000 Stimmen gewonnen. Als Lehrer aus dem Hinterland, Gewerkschafter und Indio, war er Hoffnungsträger der ärmsten Bevölkerungsschichten – doch die reiche Elite gönnt ihm keine Atempause.
Peru: Das erste Regierungsjahr von Pedro Castillo – ein steiniger WegQuelle: AFP © Jhonel Rodriguez/ANDINA/AFP

Von Maria Müller

Pedro Castillo hatte im Juli 2021 die Wahlen in Peru mit nur einer knappen Mehrheit von rund 44.000 Stimmen gegen Keiko Fujimori gewonnen. Keiko ist die Tochter des früheren Diktators Alberto Fujimori (1990–2000) und repräsentiert die mächtige neoliberale Oberschicht. Castillo hingegen, als Lehrer aus dem Hinterland, Gewerkschafter und Indio, war der Hoffnungsträger der ärmsten Bevölkerungsschichten vor allem in den ländlichen Gebieten und der indigenen Völker Perus.

Die reiche Elite beschwor im Wahlkampf einen peruanischen Kommunismus unter Castillo, eine Politik der Enteignungen oder "ein neues Venezuela in Peru". Eine rassistische mediale Hetze führte schließlich zu seinem schwachen Wahlsieg in der zweiten Runde. Die konservativen Kräfte setzen seitdem im Chor mit den Medien auf eine extrem aggressive Politik. Sie besitzen das Medienmonopol im Land. "Sie gönnen mir keine Atempause", beklagte sich der 52-jährige Castillo. Das ist bis heute so geblieben.

Ex-Militärs drohen mit Putsch

Bereits einen Monat nach seiner Amtseinführung drohte eine Gruppe von Ex-Militärs in den sozialen Netzwerken, den Präsidenten zu entmachten. Diese Gruppe rief immer wieder zur Absetzung Castillos auf und mobilisierte in den Reihen rechter Parlamentarier dafür. Das Gespenst eines militärischen Eingreifens begleitet seitdem die politische Entwicklung. Am 8. Februar dieses Jahres erklärte Castillo offiziell, ein Militärputsch sei in Vorbereitung und werde von der rechten Parteiengruppe im Kongress mitgetragen. Bis heute ist das nicht geschehen.

Die pausenlosen Angriffe aus den Reihen der Opposition, die ununterbrochen den Rücktritt von Kabinettsmitgliedern fordert, erschwerten die Möglichkeit, das politische Programm der gewählten Regierung zu verwirklichen.

Das politische Programm und seine bisherige Umsetzung

Zu den wichtigsten politischen Projekten, die Castillo im Wahlkampf versprach, gehört eine Verfassungsreform.

Die peruanische Grundordnung war 1993 unter der Diktatur von Alberto Fujimori neu formuliert und ohne eine verfassungsgebende Versammlung durchgesetzt worden. Sie sei die Basis für das neoliberale Wirtschaftsmodell, für den rücksichtslosen Abbau der Bodenschätze durch ausländische Konzerne und missachte demokratische Bürgerrechte, sagen die Befürworter der Reform.

Am 25. April 2022 legte Castillo dem Parlament ein Gesetz für den Weg zu einer neuen Verfassung vor, der von drei Volksabstimmungen begleitet werden sollte. Hervorzuheben ist dabei die Beteiligung von Repräsentanten der indigenen Völker in der verfassungsgebenden Versammlung. Diese Neuerung hatte im bisherigen Verfassungsrecht des neoliberalen Diktators Fujimori keinen Platz – worauf sich vor allem seine Tochter, die Oppositionsführerin Keiko Fujimori, berief. Das kolonial geprägte Establishment leistete heftigen Widerstand, um zu verhindern, dass ein Plebiszit womöglich neue Indigenenrechte legitimieren könnte. Die konservative Seite forderte, das gesamte Projekt einer Verfassungsreform zurückzuziehen. Die Regierung solle stattdessen die angebliche Wirtschaftsmisere nach der Pandemie bewältigen.

Doch im Februar 2022 konnte Castillo erstaunlich gute Wachstumsdaten von 13 Prozent vorweisen, die besten in ganz Südamerika. Die Kapitalflucht und eine Abwertung der peruanischen Währung in den ersten Regierungsmonaten hatten keine dauerhaft negative Wirkung. Schließlich archivierte die Kommission für Verfassungsfragen des Parlaments auf Antrag einer Abgeordneten der Fujimori-Fraktion das Projekt.

Die großen Gasvorkommen für mehr Privathaushalte nutzen

Ein weiteres Vorhaben Castillos ist eine "massenhafte Ausweitung" des bisherigen Gaskonsums auf die gesamte Bevölkerung. Das Naturgas soll in einem weit größeren Maß als bisher für Privathaushalte zur Verfügung stehen, vor allem in den Randgebieten des Landes, wo die Menschen schon jahrelang darauf warten. "Eine saubere, billige Energiequelle für alle Peruaner, die allen gehört", so Castillo.

Eine Energiekommission prüfte die Möglichkeit von größeren Gasreserven und einer erweiterten Infrastruktur samt Verteilernetz. Gleichzeitig bemühte sich die Regierung um eine Neuverhandlung des Fördervertrags mit der multinationalen Konzessionsfirma Pluspetrol/Camisea, um die Gewinnspanne für den peruanischen Staat zu erhöhen. Offensichtlich mit wenig Erfolg, denn im September 2021 drohte der Premierminister Guido Bellido mit einer Rückführung der Gasfelder in staatlichen Besitz, falls keine Einigung erzielt werde (Keine Verstaatlichung der Förderfirma). Die Neuverhandlung des Konzessionsvertrages war ein Wahlversprechen Castillos.

Die Idee der Verstaatlichung der Gasvorkommen rief in der konservativen Opposition heftigsten Widerstand hervor. Sie trat eine Hass-Kampagne los, die alle Register des parlamentarischen Kampfes nutzte. Darunter der Versuch, die Regierung durch einen neuerlichen Misstrauensantrag und ein "politisches Gerichtsverfahren" zum Rücktritt zu zwingen.

Castillo wich vor dem Druck der Opposition zurück und entließ seinen Premierminister. Der Schritt löste tiefe Widersprüche in der eigenen Partei "Perú Libre" und politische Kettenreaktionen aus, die die Handlungsfähigkeit des Präsidenten weiter einschränkten und ihn zu einer dreimaligen Regierungsumbildung innerhalb weniger Monate brachten. Seine Position ist heute geschwächt, da er nun auch mit den Mitte-rechts-Kräften verhandeln muss. Im Juli verließ er zudem seine Partei.

Rechenschaftsbericht nach einem Jahr Regierung

Am 28. Juli richtete der Präsident eine Rede an die Nation, in der er über seine bisherigen Leistungen sprach und weitere Pläne ankündigte. Die Inhalte stehen den bekannten Maßnahmen progressiver Regierungen in den Jahren des Aufbruchs (2005–2020) und der staatlichen Modernisierung in Südamerika in nichts nach. Kennzeichnend ist das Bemühen um soziale Gerechtigkeit mit einem breiten Fächer an Reformen, deren Beschreibung im Einzelnen den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Der starke Kontrast zwischen dem durch die Schlagzeilen der internationalen und peruanischen Presse geschaffenen Bild von Castillo und der Realität seiner hier dokumentierten Arbeitsfelder überrascht. (Rede im Originaltext)

Beispiele für Regierungsmaßnahmen

Einige Beispiele: Ernährungsgutscheine für über sechs Millionen Arme, Erhöhung der Renten, eine neue Altersrente ab 75 Jahren, ein generelles Grundeinkommen für Bedürftige, Inflationsausgleich bei Lebensmitteln, Anpassungen der Gehälter im Erziehungswesen und besondere Investitionen im ländlichen Schulwesen, freier Zugang zu Universitäten, sozialer Wohnungsbau, thermisch geschützte Häuser und Gasheizungen für die kalten Andenregionen, Wasser- und Abwasserversorgung, Agrarkredite für die Landwirte, staatliche Arbeitsverträge für 10.500 Kleinbetriebe, die Einstellung von 55.000 Arbeitskräften im Gesundheitswesen, 5.000 neue Stellen in der Polizei, Sondereinheiten zur Verbrechensbekämpfung. Zudem eine "zweite" Landreform und eine Steuerreform und vieles mehr.

Ein wichtiges Thema ist auch die stärkere Kontrolle von Konzernen im Bereich der Öl-, Mineral- und Metallförderung, das Ende der Straflosigkeit bei Umweltverbrechen sowie Entschädigungs- und Sanierungspflichten gegenüber dem Staat und/oder den betroffenen Bevölkerungen sowie ein reales Mitspracherecht bei Großprojekten mit Umweltgefahren. Letzteres ist ein besonderes Anliegen von häufig betroffenen Land- und Indigenengemeinden, deren Stimmen bei der Wahl von Pedro Castillo ein starkes Gewicht hatten.

Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Bolivien

Peru und Bolivien vereinbarten die gemeinsame wissenschaftliche Überwachung der Umweltprobleme des Titicacasees und Schutzmaßnahmen. Außerdem eine Verbindung der Gasleitungen beider Länder in den Grenzgebieten und eine Erweiterung des bilateralen Gas-Versorgungsnetzes für die dort ansässige Bevölkerung. Schließlich haben Bolivien und Peru ein Protokoll zur Messung der technischen Parameter von Radio- und Fernsehdiensten im Grenzgebiet vereinbart. Auch einen neuen Grenzübergang im Amazonasgebiet, die Öffnung eines peruanischen Hafens für den bolivianischen Handelsverkehr und der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel, illegalen Bergbau und andere Delikte.

Die politischen Schwächen und Fehler des Pedro Castillo

Die Schilderung der überwiegend positiven Seiten der Präsidentschaft von Castillo wäre einseitig, ohne die negativen Probleme zu benennen.

Man hat den Eindruck, dass Castillo sich weder auf eine erfahrene politische Basis noch auf ein gesichertes professionelles Umfeld für seine wiederholten Regierungsbildungen stützen kann. Auch er selbst scheint wenig Routine mit dem intrigenreichen Parkett des peruanischen Kongresses zu haben. Der geringste Fehler beim Umgang mit den strengen juristischen Regeln der Regierungsarbeit wird von der Opposition zerlegt und von den Medien aufgebauscht. Es sei daran erinnert, dass Peru in den letzten fünf Jahren vier Präsidenten hatte.

Wie bereits oben erwähnt, führten die ununterbrochenen Attacken im Kongress gegen Castillo und seine Kabinettsmitglieder dazu, dass er mehrfach seine Minister auswechselte, schließlich innerhalb eines Jahres vier Mal seine gesamte Regierungsriege. Der Innenminister wurde ganze sieben Mal gewechselt, andere hohe Beamte traten zurück.

Poltische Justiz gegen links nach dem Muster Brasiliens und Ecuadors

Die Oppositionsstrategie erinnert an Brasilien oder Ecuador, wo man linke Regierungen mithilfe einer politisierten Justiz kriminalisierte, wo Präsidenten unter falschen Anklagen ins Gefängnis kamen (Lula da Silva, Brasilien) oder ins Exil getrieben wurden (Rafael Correa, Ecuador). Wobei das juristische Vokabular der öffentlichen Verdächtigungen eine Schwerstkriminalität suggeriert, die psychologische Wirkung in der Bevölkerung zeigt.

Ein Beispiel dafür ist die Staatsanwältin Norah Córdova in Lima. Sie übte scharfe Kritik an dem linken Präsidenten, den sie einen "Terroristen" nannte. Außerdem bezeichnete sie sich als "genetisch antikommunistisch" und hatte auf Twitter dazu aufgerufen, bei der Wahl für die rechtsextreme Keiko Fujimori zu stimmen.

Präsident Castillo und seine Familie als kriminelle Vereinigung

Ein weiteres Beispiel: In den letzten Tagen hat die Justiz Pedro Castillo als "Kopf einer kriminellen Vereinigung" darzustellen versucht, deren Mitglieder aus einigen Familienangehörigen bestünden, darunter seine Frau und seine Schwägerin Yenifer Paredes sowie zwei Brüder der Präsidentengattin. Auch ein Bürgermeister und zwei Unternehmer werden verdächtigt. Laut Nachforschungen von Journalisten soll die Familie Castillo-Paredes bereits vor der Amtszeit Castillos ein freundschaftliches Verhältnis zu den beiden Unternehmern gehabt haben. Es geht um ein Großprojekt für die Trinkwasserversorgung und eine Abwasseranlage in einer ländlichen Gegend, dessen Ausschreibung die von der Gruppe angeblich begünstigten Firmen der befreundeten Unternehmer gewannen. Die Untersuchungen laufen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Einflusshandel und Geldwäsche. 

In anderen Fällen wirft man Castillo eine unrechtmäßige politische Einflussnahme bei der Beförderung von Beamten vor. So beim Aufstieg von drei hohen Offizieren unter Umgehung der Rangliste. Schließlich verweigerte der Kongress dem Präsidenten die Ausreise, um an der Amtseinführung des neuen Präsidenten Kolumbiens teilzunehmen. Die Opposition versuchte, Castillo für fünf Jahre das Recht auf eine politische Betätigung zu entziehen, was jedoch misslang.

Korruptionsvorwürfe und gesunkene Zustimmungsdaten

Mit den medialen Vorwürfen von Korruption aufgrund seiner privaten Kontakte mit Unternehmern, die staatliche Projekte ausführen oder sich dafür bewerben, fiel im August 2022 die anfänglich hohe Zustimmung für den "ehrlichen Außenseiter" Castillo auf nur noch 29 Prozent. Wobei auch 87,9 Prozent der Bevölkerung den Kongress ablehnen. Rund 60 Prozent glauben, dass Castillo irgendwie in Korruption verwickelt ist, obwohl bislang keine konkreten Beweise auftauchten. Es ist schwer, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen, zumal bisher keine Anklage eröffnet wurde. Andererseits rufen manche öffentlichen Erklärungsversuche von früheren Beamten Castillos Zweifel und Verdächtigungen hervor.

Zudem benutzt die rechte Opposition die gleichen parlamentarischen Mechanismen, die die vorherigen Präsidenten aus dem Amt trieben. In den letzten fünf Jahren hatte Peru vier Präsidenten. Das innenpolitische Chaos provozierte inzwischen heftige Ausschreitungen auf den Straßen. Bei einem landesweiten Streik der Transportunternehmen hinterließ das gewaltsame Vorgehen der Polizei sechs Todesopfer. Castillo verhängte eine vorübergehende Ausgangssperre. Die Lage ist angespannt.

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